Der Innenhof
Unsere Wohnhausanlage umfasst zwei Häuserblöcke, aufgeteilt auf vier Stiegen. Zwischen den Häusern befindet sich ein für die Innenstadt von Wien großzügiger Innenhof. Mein Gärtnerherz hätte 1001 Ideen, wie sich der Hof in eine gemütliche, bunte und ökologisch wertvolle Grünoase verwandeln ließe. Leider fragt mich niemand.
Ob man die Bepflanzung lieblos oder trostlos nennt, ist Geschmackssache. Ein paar schüttere Föhren, ein paar krumme Fichten, ein paar verhungerte Thujen, als blühende „Highlights“ ein paar Forsythien und Hibiskussträucher, eine große Cotoneasterfläche – das war’s. Nein, halt, es gibt ein Rosenbeet, das aber mangels Sonneneinstrahlung nicht viel blüht. Die Föhren waren nach ein paar Jahren bereits ein Problem, weil ihre Wurzeln das darunterliegende Garagendach beschädigen und weil sich manche Mieter beschweren, dass es bei ihnen in der Wohnung zu dunkel ist. Sie stehen aber immer noch, mittlerweile bis zum vierten Stock, nadeln den ganzen Hof voll und verursachen kahle Flecken im Grün. Unter eine Föhre wächst halt nix.
Die Gärtner tauchen jedes Jahr im Spätherbst auf und schneiden radikal alle Sträucher auf hässliche Würfel zusammen, was besonders den Forsythien zusetzt. Im Frühjahr sind sie meist kahle Stecken mit wenigen Blüten, über den Sommer erholen sie sich, um dann im Herbst erneut gekappt zu werden. Am Anfang habe ich mich über so viel Gedankenlosigkeit und Unverstand geärgert. Ich habe sogar in ersten Jahren versucht, mit den Gärtnern zu diskutieren, aber die zumeist ungelernten Arbeiter haben nur auf ihren Auftrag verwiesen und es war ihnen egal. Nach vierzig Jahren und mit zunehmender Wichtigkeit meines eigenen Gartens ist es mir auch egal. Ich habe mich damit abgefunden, dass dieser Hof niemals ein hübscher, lebendiger Platz wird, und freue mich, dass ich von meinem Schlafzimmerfenster wenigstens auf irgendein Grün blicke. Sobald mich die fehlende Natur stören würde, ziehe ich ohnehin in den Garten.
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Vor einigen Jahren haben sich zwei Gruppen von Bewohnern (zumeist Bewohnerinnen) entschlossen, diesen Hof zu verschönern und an mehreren Stellen verschiedenartige Gärtchen angelegt, die langsam größer werden. Kleine Beete mit bunten Stauden bringen nun Farbe ins Geschehen, im Frühjahr blühen unter den mickrigen Sträuchern Schneeglöckchen, Hyazinthen und Narzissen. Auch ein paar Herbstastern haben den Weg in unseren Hof gefunden. Ich finde diese Privatinitiativen sehr begrüßenswert, auch wenn es arg nach Kraut und Rüben ausschaut. Anscheinend nehmen unsere Hobbygärtnerinnen völlig wahllos ein Pflänzchen mit, wenn es ihnen gefällt und setzen es zu den anderen, geplant wird da gar nichts. Hoch steht neben nieder, große Blätter erschlagen zierliche, mal blüht es da und ein Monat später dort. Aber in all dem Kunterbunt spürt man die gute Absicht und ich finde es toll. Am meisten freut mich, dass die Pflanzen durchwegs insektenfreundlich sind, also steckt schon ein Leitgedanke dahinter.
Ein befreundeter Nachbar sitzt des öfteren mit seinen Zigarren im Hof und plaudert mit allen Vorübergehenden. Er hat uns belustigt erzählt, dass es zwischen den Gruppen Rivalitäten gibt. Ständig hört er Klagen über die Anderen, dass sie alles falsch machen, dass sie keine Ahnung haben, dass sie vom Gärtnern nichts verstehen. Er hat mich gefragt, was ich davon halte, denn er kennt sich schon gar nicht aus. Meiner Meinung nach versteht niemand was vom Gärtnern, aber ich mag den Enthusiasmus von beiden. Mit jedem neuen Pflänzchen wird der Hof ein Stückchen fröhlicher, ein Bienchen satter und 1 g CO² weniger. Bravo!
Eure Flora