Vorschriften
Vor einiger Zeit war ich bei einer Veranstaltung meines Gartenklubs „Acanthus“ (www.lustgaertner.at) über Gärten und Parks in Berlin. Neben der Präsentation von prächtigen öffentlichen Parks und berühmten Schaugärten erzählte der Vortragende, der ein paar Jahre in der deutschen Hauptstadt studiert hatte, von seinen Erlebnissen in einer Kleingartenanlage. Da ihm ein eigener Garten so sehr fehlte, hatte er dort kurzerhand einen Zettel aufgehängt, dass er gerne unentgeltlich mithelfen würde und eine ältere Dame hatte das Angebot dankend angenommen. Im Laufe der Zeit lernte er auch deren Nachbarn und das dortige Vereinsleben kennen. Er berichtete uns von einem wunderschönen Garten („der schönste weit und breit“), der ihn mit seiner Pflanzenvielfalt und naturnahen Gestaltung begeisterte. Dennoch hatte die Besitzerin jedes Jahr Schwierigkeiten mit der Vereinsleitung, weil sie – zu viele Blumen hatte.
Den Hintergrund zu der Geschichte habe ich erst diese Woche verstanden. In meiner Gartenzeitschrift fand ich einen Artikel über Bestimmungen im Nachbarland und staunte nicht schlecht. Das deutsche Bundeskleingartengesetz schreibt vor, dass mindestens ein Drittel (!) der Gesamtfläche mit Nutzpflanzen bewirtschaftet sein muss, wobei eine Mischung aus Obst und Gemüse gefordert ist. Da Kleingartengebiet als Erholungsgebiet für die Gesamtbevölkerung gilt, müssen die Anlagen zu bestimmten Zeiten öffentlich zugänglich und einsichtig sein, was höhere Hecken und Zäune ausschließt. Zusätzliche Regeln finden sich in den Gartenordnungen der Verbände, unter anderem ein Verbot von torfhaltigen Produkten, die zwingende Kompostierung von organischem Abfall und eine strenge Reglementierung von Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln. Die Vereine kontrollieren mehr oder weniger regelmäßig die Einhaltung dieser Vorgaben. Wer sich nicht daran hält, riskiert eine Kündigung seines Pachtvertrages. Wow!
Ich wurde neugierig und schaute ins Wiener Kleingartengesetz. Vergleichsweise zahm und verwaschen nimmt sich da § 16 aus: Mindestens zwei Drittel des Kleingartens müssen gärtnerisch ausgestaltet sein. Eine nähere Definition erfolgt nicht. Wie sich das allerdings mit dem Folgesatz verträgt (Ein Drittel des Kleingartens darf nicht versiegelt werden und muss als bepflanzte, wasseraufnahmefähige Grünfläche mit direktem Bodenanschluss ausgestaltet sein und erhalten werden.), verstehe ich trotz jahrelangem Jusstudium nicht. Wenn ich ein Drittel nicht versiegeln darf, darf ich im Umkehrschluss zwei Drittel zubetonieren, wie soll ich dann zwei Drittel gärtnerisch gestalten? Oder gilt die Aufstellung eines Oleanderkübels auf einer gepflasterten Fläche als gärtnerische Gestaltung? In der Gartenordnung meines Vereins finde ich auch nicht mehr. Ich darf keine Wald- und Alleebäume pflanzen, soll auf die Kulturen meiner Nachbarn Rücksicht nehmen und muss meinen Komposthaufen so anlegen, dass er den Nachbarn nicht stört und das Schönheitsbild des Gartens nicht beeinträchtigt. Da die Schönheit bekanntlich im Auge des Betrachters liegt, wird es wohl schwierig sein, einen Nachbarn mit stylischen Pflanzkübeln, blitzblauem Pool und monatlich getrimmten Hecken nicht mit dem Anblick eines Komposthaufens zu stören.
Kein Wort von Obst und Gemüse, von Pflanzenvielfalt und insektenfreundlicher Gestaltung, vom ursprünglichen Sinn eines Kleingartens, diesem kostbaren Stück Natur inmitten der Großstadt. Ich begann zu überlegen, ob das nun gut oder schlecht ist. Die strikte deutsche Regelung klingt sehr nach Nachkriegszeit, als die Nutzung als Anbaufläche wesentlich zur Nahversorgung beitrug. Auch meine Großmutter betrachtete ihren Garten als reinen Nutzgarten, erst meine Mutter reduzierte die Gemüsebeete, lichtete die Beerensträucher aus und legte eine Wiese an. Mein Schwerpunkt liegt auf meinen geliebten Stauden, von denen ich gar nicht genug haben kann. Aber immerhin, ich habe mehrere Obstbäume, Himbeeren, Brombeeren, Stachelbeeren, einen Weinstock, Kräuter und mickrig, aber engagiert ein Gemüsebeet. Von einem Drittel der Gesamtfläche, das wären bei mir rund 120 m², bin ich gar nicht so weit entfernt, wenn ich die Fläche der Baumkronen mit einrechne. Ich möchte nicht gezwungen sein, für mehr Gemüseanbaufläche meine Blumen zu opfern. Vielleicht wird mir der Komposthaufen eines Tages zu viel und die 2 m hohe Abschirmung durch die Eibenhecke auf einer Seite finde ich ganz angenehm. So gesehen bin ich recht froh, dass die Bestimmungen bei uns wesentlich großzügiger sind als in Deutschland.
Andererseits kommen mir auch manche Gärten in unserer Anlage in den Sinn, wo selbst bei freundlicher Auslegung von gärtnerischer Ausgestaltung keine Rede sein kann. Schon gar nicht auf zwei Dritteln der Fläche. Terrasse, breite Wege, ein Pool, dazwischen grober Schotter, in den sich zwei, drei Koniferen hineinverirrt haben, alibihalber ein Minihochbeet mit zwei Salatköpfen. Der Verein hat kaum eine Möglichkeit, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Da wünsche ich mir dann doch ein paar strengere Auflagen, wie mit einem Garten umzugehen ist. Ist den Leuten nicht klar, wie viel Glück sie mit ihrem kleinen Stück Land haben? Eine Kollegin, die in einem Kleingarten wohnt, hat mir einmal erklärt, dass ihr der Garten nur lästig sei, ihr hätte das Haus mit Terrasse gereicht. Jetzt haben sie halt alles mit Rollrasen ausgelegt, das macht am wenigsten Arbeit. Obwohl die Frau eigentlich recht nett war, habe ich danach kaum noch mit ihr gesprochen, so entsetzt war ich von so viel Lieblosigkeit.
Ich fürchte, mit der Möglichkeit, ein ganzjähriges Wohnhaus hinzustellen, die ja grundsätzlich begrüßenswert ist, hat man sich ein gutes Stück von der Kleingartenidee verabschiedet. Immer mehr Leute nutzen die Gelegenheit, relativ günstig in der Stadt zu einem Haus zu kommen, den Garten nehmen sie mehr oder weniger in Kauf. Wo sind sie, die Gartenbegeisterten, die sogar im Park ein paar Paradeiser anpflanzen, die sich auf Feldern eine Parzelle für eigenes Gemüse mieten, die von der Raritätenbörse volle Taschen wegschleppen?
Mehr Vorschriften? Nein, mehr Bewusstsein, mehr Achtsamkeit. Mehr Liebe.
Eure Flora