1 x Regen bitte
Jeden Morgen stehe ich auf und verplempere die einzig angenehme kühle Tageszeit damit, meinen Garten zu begießen. Dazu nehme ich gleich den Schlauch, denn punktuelles Bewässern reicht nicht mehr aus, erst die Töpfe, dann alles, was noch nicht abgeblüht ist. Nein, auch die Frühjahrs- und Frühsommerblüher und die bereits abgetragenen Obststräucher muss ich heuer wegen der andauernden Hitze mit Wasser versorgen, will ich nicht in einer dürren Einöde verzweifeln. Also so gut wie alles wird täglich eingewaschelt. Das Märchen, man müsse nur zweimal in der Woche gießen (siehe „Gießen Sie richtig!„) , glaube ich schon lange nicht mehr.
Die Maßnahme zeigt ein wenig Erfolg, Gott sei Dank. Auf dem Pfirsichbaum, der eigentlich in seinem dritten Sommer ausreichend eingewurzelt sein sollte und den ich daher beim Gießen außer Acht gelassen hatte, hatte bereits völlige Stagnation geherrscht. Erst seit ich die Baumscheibe täglich überflute, wachsen die Früchte munter weiter. Das hübsche gesprenkelte Laub des Lungenkrauts hat nicht wie sonst eingezogen, sondern ziert das Schattenbeet. Die großen weichen Blätter vom Nesselkönig und vom Immenblatt sind nicht wie voriges Jahr verwelkt und nahezu verschwunden, sie stehen aufrecht neben meinem Liegeplatz. Das Kaukasus-Vergissmeinnicht breitet sich sogar noch ein wenig aus, ich konnte heute einen kleinen Ableger abtrennen und an anderer Stelle einpflanzen. Danach torkelte ich ausnahmsweise mit vollen Gießkannen durch den Garten und verbrauchte gut die Hälfte meines gesammelten Regenwassers.
Denn in der Nacht von Montag auf Dienstag kam ein großer Guss, einer von der Sorte, den Gärtner stets herbeisehnen, und füllte meine Tonnen. So froh ich war, dass mir ein ordentliches Gewitter für einen Tag das Gießen abgenommen hatte, so sehr kränkte mich die Undankbarkeit meines Gartens. Da stelle ich mich Tag für Tag hin und verwöhne meine Pflanzen mit reichlichem Nass, ohne an die hohe Wasserrechnung zu denken, und es reicht ihnen grad einmal zum schlappen Überleben bis zum nächsten Morgen. Kaum öffnet jedoch der Himmel seine Schleusen, plustern sie sich auf, strotzen vor Kraft und Saft und tun so, als würde sich sonst NIE jemand um sie kümmern. In meiner Kindheit gab es öfters Sendungen über die Tierwelt in der afrikanischen Savanne, wo in Zeitrafferaufnahmen das Wachstum der Pflanzen mit Beginn der Regenzeit gezeigt wurde. Ungefähr so gebärdet sich mein Garten, für ein paar Tage war sogar die Wiese grün und Strochschnabel „Dilys“ schiebt erneut Blüten.
Angeblich gießen die meisten Leute falsch. Bei manchen in meiner Umgebung wird das „angeblich“ zur Gewissheit. Schnell, schnell, bevor das Hauptabendprogramm anfängt, werden in vielen Gärten die Pflanzen abgeduscht. Sobald alles nass ist, wird der Schlauch zusammengerollt, Wasser ist teuer. Ich bemühe mich, diese Fehler zu vermeiden, gieße in der Morgenkühle, halte den Schlauch lange an dieselbe Stelle, damit das Wasser tief in die Erde eindringen kann und nicht nur die Oberfläche benetzt wird. Anscheinend nicht lange genug. Oder muss ich es einfach akzeptieren, dass alles Gießen der Welt einen ordentlichen Regen nicht ersetzen kann?
Soll ich doch eine automatische Tröpfchenbewässerung ins Auge fassen? Zeit sparen würde es mir auf jeden Fall. Aber wenn ich an meine vielen verschiedenen Beete mit den unterschiedlichsten Pflanzen (und unterschiedlichsten Bedürfnissen) denke, in die ich alle einen Schlauch winden müsste, gebe ich den Gedanken gleich wieder auf. Der Phlox braucht mehr Wasser als der Sonnenhut, bis die Annabelle genug hat, sind die Salvien überschwemmt, nein, das bringe ich nicht unter einen Hut. Obwohl, wenn es regnet, kriegen auch alle gleich viel ab und stellen sich nicht so zimperlich an. Nix da mit „ich hab’s eigentlich lieber trockener“ oder „meine tiefliegenden Wurzeln haben aber jetzt nichts abbekommen“, das machen sie nur mit der Gartenmutter.
Da die Hitzewelle laut Wetterbericht weiter anhalten wird, werde ich weiter gießen, um das Schlimmste zu verhindern, und auf den erlösenden Regen hoffen. Vielleicht, dieses Wochenende? Wenigstens ein kurzes Gewitter? Ich durchforste die einschlägigen Seiten des Internets nach Regentänzen.
Eure Flora
PS: Bei aller Verzweiflung ist mir die Nichtigkeit meiner Sorgen durchaus bewusst. Ein paar Schätzchen werden diesen Hitzesommer vielleicht nicht überleben, na gut. Aber wie muss es erst einem Bauern gehen, der seine Ernte und damit seine Existenz auf den Feldern verdorren sieht. Wieviel Saatgut, wieviel Arbeit wird da vernichtet! Noch viel mehr als für meine 352 m² hoffe ich für die Landwirtschaft auf Regen. Ich tanze auch für sie.