Die Angst vorm Scheitern
Jetzt beginnt es wieder: das große Zittern, das ängstliche Schielen nach grünen Spitzen, die sich aus dem Boden schieben und anzeigen, dass wieder ein Winter überstanden ist. Zugegeben, Anfang Februar ist es noch ein wenig früh für hoffnungsvolles Grün, aber die Gedanken lassen sich halt nicht so einfach beseite schieben. Gartenzeitschriften drucken bereits Pflanzpläne und Aussaatzeiten für reiche Ernten und üppigen Blütenflor und selbstverständlich ist alles kinderleicht zu erreichen, wenn man nur ein paar einfache Tricks anwendet.
Wer selbst gärtnert, weiß, dass das blanker Unsinn ist. Auch wenn man alles lehrbuchmäßig bereitstellt, gibt es keine Garantie, dass die Pflanzen mitspielen. Was bei der Freundin im Garten wuchert, kann bei mir zum Problemfall werden. Die möglichen Gründe für Totalausfälle oder kümmerliches Dahinvegetieren sind so vielfältig, dass man sich wochenlang das Hirn zermartern kann, ohne auf die EINE Lösung zu kommen. Hat der Boden nicht gepasst, taugt die Sorte nichts, war es zu nass oder zu trocken oder zu windig? Hat irgendwer die Wurzeln angenagt, ist „Halbschatten“ doch ein zu dehnbarer Begriff, war der Kompost zu wenig abgelegen? Auch wenn der letzte Winter nicht besonders verfroren war, gab es doch zu oft ein paar Minusgrade? Oder zu wenige? Und die schlimmste aller Fragen: Bin ich schuld?
So gesehen war ein Vortrag, den ich diese Woche gehört habe, recht erfrischend. Ein Mitarbeiter des Botanischen Gartens in Wien plauderte über Pflanzenfamilien und Systematik, wobei es fast ausschließlich um Stauden ging, und zeigte fantastische Fotos. Ich kam zu der Überzeugung, dass jede noch so unscheinbare Blüte ein kleines Wunder ist, wenn man nur ein Makroobjektiv zur Hand hat. Was mich jedoch am meisten faszinierte, war die freimütige Offenheit, mit der er über Misserfolge berichtete. Er probiert sehr viel aus, pflanzt oft Dutzende Samen von verschiedenen Sorten derselben Familie und beobachtet, was daraus wird. So hat er etwa dreißig Sorten Rittersporn ausgesät, darunter auch etliche alte berühmte von Karl Förster. Rittersporn, so meinte er, sei die Pflanze, die jeder im Garten haben wolle und die bei keinem was wird. Ich spitzte die Ohren, das kam mir ja sehr bekannt vor. Er zeigte ein prächtig blühendes Beet in verschiedenen Blautönen, gab jedoch sofort zu, dass bis auf eine einzige Sorte (wenn ich richtig aufgepasst habe, ist es der Karpatenrittersporn) alle voller Mehltau und im zweiten Jahr schon lange nicht mehr so prächtig waren. Mittlerweile wurden sie entfernt, nur die eher locker blühende Wildsorte durfte bleiben.
Und so ging es weiter. Er erzählte viel von seinen Experimenten (die botanischen Gärten in aller Welt tauschen ständig Samen), zeigte gartenwürdige Ergebnisse, erwähnte jedoch mindestens ebenso oft, dass Pflanzen vor sich hin kümmerten. Am Ende seines Vortrages fragte ich ihn, in welchem Verhältnis Erfolg und Misserfolg bei seinen Aussaaten stünden. Etwa ein Drittel Erfolg, schätzte er. „Da bin ich eh gut“, rutschte es mir spontan raus und ich sorgte damit für Gelächter im Saal. Zwei Drittel Misserfolg, da hätte ich das Gärtnern wohl schon aufgegeben! Aber für mich ist es halt Liebhaberei und nicht botanische Forschung, dementsprechend hält sich meine Experimentierfreude in Grenzen. Ich verfüge ja weder über weltweite Samenbanken noch über Glashäuser oder die Ressourcen an Arbeitskraft und Material eines botanischen Gartens. Jedes Pflänzchen kostet mich ein paar Euro, Erde, Dünger, Töpfe, nicht zu vergessen die vielen Stunden gebückter Haltung, die ich investiere – da überlege ich mir schon im Vorfeld gut, was gedeihen könnte, und probiere nicht wild drauflos. Hinzu kommt die Trauer, wenn ein hoffnungsvoller Sprössling trotz aller Hinwendung doch nicht überlebt. Ja, Trauer und Schuldgefühle! Pflanzen sind Freunde.
Immerhin hat mir der Vortrag gezeigt, dass ich vielleicht doch zu zaghaft bin. Pflanzen können einen überraschen, manche setzen sich durch und wachsen über sich hinaus, auch wenn nicht alle Bedingungen stimmen. Tatsächlich verkneife ich mir immer wieder schöne Stauden, weil ich ihnen nicht die perfekte Sonneneinstrahlung, nicht die perfekte Bodenbeschaffenheit, nicht die perfekten Nachbarn bieten kann. Staunend lese ich dann Berichte von anderen, die es „ausprobiert“ und gute Erfahrungen gemacht haben, selber traue ich mich nicht. Bekomme ich solche „Risikopatienten“ von wohlmeinenden, nichtsahnenden Freunden geschenkt, überwiegt erst einmal die Panik, ich könnte den Neuzuwachs umbringen. Am Anfang meiner Gartenkarriere, als ich noch keine Ahnung hatte, war ich ziemlich unbekümmert, doch je mehr ich mich mit Pflanzen beschäftige, desto vorsichtiger werde ich und desto schlechter komme ich mit einem Scheitern zurecht. Bei Samen bin ich sowieso immer argwöhnisch, dass sie bei mir eh nicht keimen. Und dann hab ich plötzlich einen Strelitzienspross, der laut allen Ratgebern im Internet zufolge völlig unwahrscheinlich ist, und meine Agapanthe blüht von Jahr zu Jahr schöner.
Jetzt ist Schluss mit der Zauderei! Ich hab noch einen Restgutschein von einer Samengärtnerei, den werde ich sofort aufbrauchen. Im Gartenhaus schlummern die Samenpäckchen aus England, die mir meine Freundin von ihrer Gartenreise mitgebracht hat. Heuer will ich Zucchini haben (bisher sind alle Versuche gescheitert), das wär doch gelacht, wenn ich schon aufgebe. Und Kürbis. Ein paar jahrelange Kümmerlinge werde ich entsorgen und etwas anderes versuchen. Und wenn es nichts wird, dann bin ich halt um eine Erfahrung reicher, Gott sei Dank muss ich nicht davon leben. Ich lasse mich nicht mehr entmutigen. Jawoll!
Eure Flora