Die Berberitze
Jetzt habe ich mich doch tatsächlich entschlossen, meine Blutberberitze zu roden. Wer mich auch nur ein bisschen kennt, weiß, dass dieses Ereignis in etwa mit einer Sonnenfinsternis vergleichbar ist, ebenso außergewöhnlich wie selten. Pflege ich doch jedes „Verreckerl“ aufopfernd, bis es sich von selbst zum endgültigen Absterben verurteilt. Bei meinem letzten Gartenbesuch habe ich den Strauch nochmals inspiziert: Es hilft alles nichts, die Hälfte der Äste ist dürr, zusammen mit Efeu und einer Heckenrose hat sich ein unansehnliches stacheliges Dickicht gebildet, dem nur mehr mit der Machete (oder Klappsäge) beizukommen ist. Und von wegen „wertvolles Vogelgehölz“: Meine verwöhnten Gartenbewohner denken nicht im Traum daran, die sauren Beeren zu fressen (ebensowenig wie die Hagebutten). Schließlich werden sie allerorts gefüttert.
Ich habe die Berberitze bald nach der Gartenübernahme vor rund dreißig Jahren gepflanzt. Mein Garten liegt, wie schon öfters erwähnt, an einer Wegkreuzung und im schräg gegenüberliegenden Garten stand am Eck eine prächtige Berberitze, die ich seit Kindertagen für ihre besondere Farbe bewunderte. Damals, in der langweiligen, spießigen Gartenkultur der 60er und 70er Jahre, waren rotlaubige Gehölze seltene Exoten, die (ich höre meine Mutter reden) einfach nicht in einen ordentlichen Garten gehörten. Ich fand es eine wunderbare Idee, vis-à-vis ein Gegenstück zu setzen, als Abschluss und Kontrapunkt zur dunkelgrünen Eibenhecke, die ich gleichzeitig plante. Im Freundeskreis erzählte ich begeistert von meinen Überlegungen und ein väterlicher Freund nahm die Sache in die Hand: Wenn ich eine rote Berberitze haben wollte, bräuchte ich kein Geld dafür auszugeben, bei seinem Badeteich gingen massenhaft Berberitzen auf, die er ständig ausreißen müsste. Schon wenige Tage später brachte er mir vier kleine Berberitzen.
Klein trifft es nicht ganz. Die Setzlinge waren winzig und passten alle zusammen in einen Joghurtbecher. Ich hatte mir den Strauch etwas repräsentativer vorgestellt, aber die Wünsche Anderer zu akzeptieren, war nicht die große Stärke unseres Freundes. Auf der Stelle musste ich die Kümmerlinge eingraben und dann – warten. Gott sei Dank entwickelten sich die Ästchen schneller als befürchtet und nach ein paar Jahren füllte der Strauch die Ecke aus und reichte bis in Zaunhöhe. Kaum begann meine Vorstellung von den zwei roten Eckpunkten Gestalt anzunehmen, fällte der Nachbar seine 2 m-Berberitze.
Die Ecke zu pflegen wurde immer schwieriger. Auf zwei Seiten ist die Berberitze von Zaun umgeben, auf der dritten von der Eibenhecke. Offen ist nur die Seite zum Gemüsegarten und von dort aus versuchte ich mehr schlecht als recht, dem Unkraut unter dem Strauch Herr zu werden. Als sich schließlich von selbst Efeu in der Ecke etablierte, schien es einfacher zu werden, aber der Efeu übernahm bald selbst das Kommando und wuchert seither ungehemmt vor sich hin: Den Zaun hinauf (was ausgesprochen hübsch aussieht), um die Stämme der Berberitze (was sie schön langsam umbringt) und in mein Gemüsebeet hinein (was dem Wachstum meiner Gemüsepflanzen nicht zuträglich ist). Vor allem Letzteres ist lästig und der Kampf dagegen aussichtslos. Der Efeu scheint schneller zu wachsen als ich ihn abschneiden kann. Ausreißen ist keinesfalls empfehlenswert, denn damit breche ich haufenweise Stacheln von den Berberitzenästen ab, die dann in meinem Beet und in weiterer Folge in meinen Fingern landen. Auch der Schnitt der Berberitze darf aus diesem Grund nur höchst behutsam erfolgen. Einmal, als ich die Eibenhecke am Zaun entlang mit einer Heckenschere schnitt, brachte ich auch gleich die Berberitze mit in Form. Mit dem Schnitt war ich zwar schnell fertig, die stacheligen Zweige aus meinem Beet zu klauben, dauerte dann allerdings den ganzen Sommer lang.
Mittlerweile hat sich auch noch eine Heckenrose in das Ensemble gesellt, die durch Efeu und Berberitze hindurch und der Sonne entgegen aus dem Zaun herauswächst. Ihre zahlreichen Blüten begeistern die Insekten ungemein, die Leute, die bei meinem Garten vorbeigehen, weniger. Schließlich muss ja alles seine Ordnung haben und es darf nichts aus dem Garten herausragen, wo kämen wir denn da hin? Bisher habe ich sie so gut es geht zurückgebunden, aber die Wuchsfreude einer Heckenrose ist nicht zu unterschätzen. So habe ich mich schweren Herzens zum Entfernen der Berberitze entschlossen, anschließend versuche ich den Efeu im Zaum oder besser gesagt am Zaun entlang zu halten und die Heckenrose zu retten und sie zum Wachstum IN meinem Garten zu überreden. Dass unser Freund, dem ich die Berberitze verdanke, vor kurzem im Alter von 96 Jahren verstorben ist, hat mir die Entscheidung nicht leichter gemacht. Die Erinnerung bleibt.
Es wird ein Kraftakt werden, ich fürchte mich jetzt schon. Ich werde mich mit Pflastern und Wundsalbe eindecken und meine Schutzbrille suchen. Denkt an mich!
Eure Flora