Es geht los
Es war schon allerhöchste Zeit. Bei den warmen Frühlingstemperaturen, die seit Tagen, ja Wochen herrschen, hat der Marillenbaum schon fleißig Knospen angesetzt, dabei stand der Winterschnitt, den ich ihm wieder einmal spendieren wollte, noch aus. Die Alternative nach dem großen Astbruch im Sommer wäre die Rodung gewesen, aber das habe ich nicht übers Herz gebracht. Also noch einmal Gewicht von der Krone nehmen und auf die Urkraft des Baumes vertrauen. Aber im Jänner waren wir auf Urlaub und dann war der Wind viel zu heftig und so wurde es schön langsam knapp. Aber vorgestern war es soweit, der Baumpfleger hat getan, was er konnte, und der alte Herr kann sich vor der Blüte hoffentlich von dem Schock erholen.
Es war ein herrlicher Frühlingstag und ich genoss den Tag im Garten. Am liebsten wäre ich gleich dort geblieben, trotz des vollgerümpelten Hauses und der abendlichen Abkühlung. Wenn ich Wasser gehabt hätte, wer weiß… Damit ich dem Baumpfleger nicht nur im Weg herumstehe, habe ich mich auf erste Arbeiten gestürzt. Viele Stauden treiben bereits aus, Astern, Rudbeckien, Chrysanthemen, Storchschnabel habe ich schon abgeschnitten, damit es nicht später eine mühselige Fitzelei zwischen dem frischen Grün wird. Nach einer halben Stunde hat mir das Handgelenk von der ungewohnten Schnippelei wehgetan, es ist doch jedes Jahr dasselbe. Noch schlimmer war am Abend mein Rücken, der gegen das ständige Rauf-Runter protestieren musste. Aber auch das kenne ich schon, nach den ersten Malen in der Saison ist es halt so.
Die Farne in den Kübeln melden sich noch gar nicht, aber die in der Erde schlafen auch noch. Die Wildtulpen strecken schon die Spitzen aus dem Boden, aber nicht dort, wo ich sie eingegraben habe, sondern ein wenig verrutscht am Weg entlang. Ich hatte Sorge, dass sie beim Abtransport des Schnittgutes abgebrochen werden, aber der Baumpfleger passte sehr auf und es ist kein einziger Trieb zu Schaden gekommen. Tulpen gehen an unerwarteten Plätzen auf, entweder habe ich vergessen, dass ich sie dort eingebuddelt habe oder es findet die wundersame Vermehrung statt. Plötzlich habe ich Winterlinge im Garten, die ich noch nie gesetzt habe, und erstaunlich viele Krokusse in der Wiese. Na, mir soll’s recht sein. Die Schneeforsythie, die eigentlich bald blühen sollte, erwacht nur sehr gähnend aus dem Winterschlaf. Der Baumpfleger, der natürlich gelernter Gärtner ist und den ich um seine Meinung fragte, warf einen Blick darauf und sein Urteil lautete: „Stirb langsam!“ Eine Saison gebe ich ihr noch, aber wenn sie auch heuer vor sich hinschlappt (siehe „Säufer„) und noch nicht einmal ordentlich blüht, werde ich an ihrer Stelle die Zuckerhutfichte setzen, für die ich ohnehin seit zwei Jahren einen geeigneten Platz zum Auspflanzen suche. Dass der Nesselkönig und das Kaukasusvergissmeinnicht neben meinem Liegeplatz schon loslegen, lässt auf eine reiche Blüte hoffen, auch das Immenblatt zeigt erste Blättchen.
Am meisten freute mich ein Blick in die Baumscheibe von unserem Pfirsichbaum. Im Sommer habe dort Samen von dem lustigen gepunkteten Mohn eingestreut, den mir meine Freundin aus England mitgebracht hatte, aber das Ergebnis war praktisch null und ich war nur froh, dass ich die Hälfte der Samen fürs Frühjahr zurückgehalten hatte. Aber jetzt sprießen rundherum kleine Blattrosetten aus dem Boden, die mein Gärtnerauge und die Pflanzenbestimmungsapp, die ich sicherheitshalber auch befragt habe, als Klatschmohn identifiziert haben. Hurra! Auch der Knoblauch, den ich im September gestupft habe und der keine Anstalten für irgendein Grün gemacht hat, ist plötzlich da. Ich hatte ihn schon abgeschrieben. Komisch, der Supermarktknoblauch ein Jahr davor war sofort ausgetrieben und hat grün überwintert, während der spezielle Pflanzknoblauch erst einmal ein halbes Jahr lang gar nichts getan hat? Da soll sich einer auskennen! Der Bärlauch lässt sich noch nicht blicken, hoffentlich war es ihm nicht zu trocken. Christian hält die Pestogläser schon bereit.
Und so bin ich die ganze Zeit durch den Garten gehüpft, habe alte Bekannte begrüßt, den Langschläfern gut zugeredet und erste Triebe vom dürren Herbstlaub befreit. Auf einmal die große Sensation: ein Schmetterling! Ein wunderschöner Admiral flatterte um den (blühenden) Duftschneeball meiner Nachbarin herum, eine Menge hungriger Bienen leistete ihm Gesellschaft. Ein Schmetterling Mitte Februar?! Der Baumpfleger meinte, das wäre bereits ein neu geschlüpfter, da wäre wohl nicht mehr viel Winter zu erwarten. Ich wünsche es dem kleinen Flattermann, dass er sich nicht geirrt hat. Und meinen Stauden, die es wie ich nicht erwarten können. Wie auch immer, eines steht zweifelsohne fest: Die neue Gartensaison hat begonnen.
Eure Flora