Fremde Gärten
Ich schaue mir für mein Leben gern fremde Gärten an.
Letztes Wochenende etwa verbrachte ich einen ganzen Tag damit, Schloss Nymphenburg in München mit seinem weitläufigen Park zu besichtigen. So reizvoll der englische Landschaftsgarten mit all seinen Parkburgen, Teichlandschaften und Ausblicken auch ist, am meisten interessierte mich doch die Bepflanzung der Blumenrabatten. Und da kam ich aus dem Staunen nicht heraus. Das gesamte riesige Parterre vor dem Schloss zur Parkseite hin ist mit genau DREI verschiedenen Pflanzen geschmückt. Blauer und weißer Mehlsalbei wird von weißfilzigem Greiskraut (bei uns als Friedhofspflanze Silberblatt bekannt) umrahmt. Es müssen Tausende Stauden sein und die Gesamtwirkung ist umwerfend. Das Gartenrondell auf der Vorderseite des breiten Schlosses nimmt die Bepflanzung ebenfalls auf, erweitert sie jedoch mit lila Spinnenblumen, Verbenen und Lavendel. Ich war fasziniert. Nun, die imposante Fläche krieg ich in meinem Garten nicht hin, aber die Kombination kann ich mir merken.
An Schaugärten, seien sie privat oder von Gärtnereien, kann ich nicht vorübergehen, aber anders als Schlossanlagen frustrieren sie mich meistens. Gewiss, ich bin begeistert von den vielen Gestaltungsideen, unbekannten Pflanzen, prächtigen Farbkombinationen – aber sehe ich einen dichten buschigen Phlox, taucht sofort die Frage auf: Wieso wuchert der hier und bei mir überlebt er grade mal so? Nymphenburg, Schönbrunn oder Schloss Hof, auch ein botanischer Garten haben so gar nichts mit meinem Garten gemein, dass ich gar nicht auf die Idee komme, Vergleiche anzustellen. Aber so ein privater Schaugarten wie der in Höbenbach (siehe „Mich frisst der Neid„) nagt an meinem Selbstbewusstsein. Wieso fügen sich dort alle Pflanzen zu einem harmonischen Ganzen, obwohl sie genauso zusammengewürfelt sind wie bei mir? Wieso sind die Wiesenwege saftig grün, obwohl es dort auch nicht viel mehr regnet als in Wien? Wieso überwuchern Zucchini und Kürbisse einen riesigen Pavillon, während sie bei mir nicht einmal den 1 m-Zaun schaffen? Wieso blüht die Blumenwiese in allen Farben, während meine nach einer Frühlingsorgie den Rest des Sommers keine Augenweide mehr ist? Wieso schaffen die zu zweit das über 2.000 m² große Areal, während ich mit meinen kümmerlichen 352 m² ständig hinterherhinke? Schaugärten genieße ich daher nur in kleinen Dosen.
Am liebsten gehe ich in Straßen mit Einfamilienhäusern oder in Kleingartenanlagen spazieren. So mancher Grundstücksbesitzer hat mich schon argwöhnisch beäugt, wenn ich zu lange neugierig vor dem Tor stehe. Eine kurze Frage zu der einen oder anderen Pflanze oder ein Kompliment für ein besonders schönes Exemplar überzeugt die Leute dann von meiner Harmlosigkeit (und natürlich mein freundliches Aussehen). Nicht die gestylten Gärten, die einem so strengen Farben- und Formenkonzept folgen, dass sich die Eigentümer wohl einen Gartengestalter geleistet haben, haben es mir angetan. Und schon gar nicht die modernen Rasen-Pool-Kirschlorbeer-Einöden, da schaue ich gleich weg. Aber bei den Häusern, die schon länger als zwanzig Jahre stehen, gibt es stets viel zu entdecken. Diese Gärten sind meist nicht größer als meiner und es sind keine Profis am Werk. Vieles erkenne ich wieder: Die altmodischen, geraden Rabatten, die wohl schon die Großeltern angelegt haben. Die Sträucher, die im ersten Überschwang des Gärtnerns zu dicht gepflanzt worden sind. Der Ginster, der viel zu prominent in der Mitte steht und nach der Blüte wie ein dünner Besen wirkt. Die schneckenzerfressenen Hostablätter. Die Reste eines Alpinums, das zur Zeit meiner Eltern so modern war. Der Miniteich, der mit Algen kämpft. Die Teerosen im Vorgarten, die auch schon keine Blätter mehr haben. Der Zaun, den der Efeu im Würgegriff hat. Die Pfingstrosen, die seit Generationen da stehen. Die viel zu groß gewordene Föhre, unter der alles Grün abstirbt. Der abgeblätterte Gartenzwerg, an dem jemand immer noch hängt. Die selbst betonierte Vogelschale. Ein Buchsbaum voller Gespinste. Die einfallslosen Pelargonien auf der Terrasse, die trotzdem immer wieder prächtig sind. Die obligate Magnolie vor dem Haus, die nur wenige Tage im Jahr wirklich schön ausschaut. Die halb dürre Thujenhecke, die kaum mehr Sichtschutz bietet, aber zum Entfernen konnte sich noch keiner aufraffen.
All die Zeichen des Verfalls, dem ein Garten unweigerlich ausgesetzt ist, machen seinen Charakter aus, was man vielleicht erst in meinem Alter erkennt. Neben der Patina gibt es ja auch viel Großartiges: Die verwilderten Zyklamen, die den halben Vorgarten einnehmen. Eine Berberitze, bei der man vor lauter Beeren keine Blätter mehr sieht. Ein Apfelbaum, wegen seines knorrigen Greisenalters auf zwei Seiten abgestützt, aber voller Früchte. Eine wilde Clematis, die einen Rosenbogen überwuchert hat. Ein wunderschön geschwungenes Gefäß aus alter Zeit, in dem sich Hauswurzen breitgemacht haben. Ein Lavendelbusch von unglaublichen Dimensionen in einem löchrigen Korb. Eine Beetumrandung aus alten Ziegelsteinen, halb zerbröckelt und doch so haltbar. Eine rostige weiße Gießkanne, aus der Stiefmütterchen hervorquellen. Das flammend rote Herbstlaub des wilden Weins. Die ersten Chrysanthemenköpfchen unter den letzten Rosenblüten.
Wenn ich nachdenke, wie mein eigener Garten ausschauen soll, hätte ich gerne eine Mischung aus beidem: Prachtvolle Beete und Pflanzenbilder wie aus einem Schaugarten und gleichzeitig die nostalgische Romantik eines in die Jahre gekommenen Stücks Land, dem ich meinen Stempel aufgedrückt habe. Deswegen werde ich auch weiterhin über jeden Zaun gucken und schauen, wie’s die andern machen.
Eure Flora