Gärtner Gustav
Es begann in Paris…
Es klingt wie der romantische Anfang einer Liebesgeschichte und ein bisschen ist es das auch. Immer schon haben mich Vogelscheuchen aller Art fasziniert, aus Stroh, aus Fetzen, aus alten CDs, aus Plastikflaschen, klappernd, blinkend oder stumm hängend, mit Gesicht oder ohne. Von allen Figuren aus dem Zauberer von Oz mochte ich die Vogelscheuche am liebsten. Den Gedanken an so einen Mitbewohner im Garten hatte ich jedoch nie. Da es bei mir nichts vor Vögeln zu schützen gibt, schien mir das eine überflüssige und sinnlose Dekoration. Bis ich in Paris im Parc de Bercy eine fantasievolle Vogelscheuche im Potager (Küchengarten) entdeckte, zusammengeschustert aus allem möglichen Kram. Obwohl sie auch dort nichts zu bewachen hatte, sah sie in dem originellen Gemeinschaftsgarten gar nicht fehl am Platz aus, sondern fügte sich als skurriles Element in die bunte Vielfalt ein. Ich begann schon wieder zu träumen…
In den nächsten Jahren realisierte ich vorrangig Beetideen und hatte für Deko keine Zeit, der Gedanke blieb aber stets in meinem Hinterkopf. Als im Frühjahr wieder einmal ein Gartensessel zusammenbrach, tat es mir leid, ihn auf der Deponie zu entsorgen und ich bockte ihn vorläufig auf Ziegelsteinen und einem alten Topf auf. Die abgerostete Armlehne stellte ich dazu. „Na hoffentlich setzt sich da keiner drauf“, befürchtete mein Mann – und da war sie, die Gelegenheit! Denn wenn schon einer draufsitzt, kommt keiner auf dumme Gedanken.
Jetzt ging es nur mehr um das Wie. Ich stöberte erst im Internet, dann auf dem Dachboden. Ich fand Kopfpolster aus der Zeit, als wir noch zu viert waren, sortierte die schäbigsten, schlechtesten aus, band mit einem alten Schnürsenkel eine Kugel ab und der Kopf war fertig. Ein zweiter Polster sollte die stolzgeschwellte Brust füllen. Als nächstes durchforstete ich den Kasten, da wird sich doch noch was zum Ausrangieren finden lassen (siehe „Garden-life-balance„). Eine durchgewetzte Jeans und und ein uralter Hoodie (der einst meinem Sohn gehörte und den die sparsame Mutter im Garten „aufträgt“) – schon war mein Gärtner angezogen und da ich ihm die Kapuze aufsetzte, musste ich auch keinen von meinen Strohhüten opfern. Dann rollte ich eine alte, schon sehr dünne Tuchent zusammen und stopfte damit die Hosenbeine aus. Damit sich die Figur am nächsten windigen Tag nicht gleich in ihre Bestandteile auflöst, nähte ich alles mit groben Stichen zusammen, setzte einen Stock als Wirbelsäule ein und fixierte meinen Gärtner auf dem kaputten Sessel. Hmm, da fehlt noch was… Gummistiefel! Jetzt sah er schon ganz ordentlich aus, aber das blanke Mondgesicht störte mich noch. Ein Gesicht aufmalen? Nein, zu gruselig. Ein paar Stirnfransen aus Kokosstrick waren genau das Richtige.
So, jetzt braucht er nur noch einen Namen. Der Alliteration mit Gärtner wegen wollte ich einen mit G. Georg, Gerhard, Günter – immer fiel uns jemand aus dem Bekanntenkreis ein, der vielleicht beleidigt sein könnte, bis ich Gustav vorschlug. Hurra, wir kennen keinen Gustav und lustig altmodisch klingt der Name auch. Wir tauften unseren Gustl mit einer Flasche Wein (die wir natürlich nicht zerschlugen, sondern austranken) und verschickten Fotos von unserem neuen Mitbewohner. Die ersten Regengüsse hat er unbeschadet überstanden und dass die Schnecken auf ihm herumkriechen, lässt er mit stoischer Ruhe über sich ergehen. Still und ergeben sitzt er unter dem Marillenbaum und bewacht den ihm anvertrauten Topf. Und meine Nachbarn halten mich wahrscheinlich für noch ein bisschen schrulliger.
Eure Flora
PS: Der Parc de Bercy mit dem angrenzenden Bercy Village ist ein toller Tipp, wenn man Eiffelturm, Montmartre und den Louvre schon gesehen hat. Der Park bietet verschiedene Bereiche, unter anderem einen wunderschönen romantischen Garten, Weinberge, Rosengarten und und und. Bercy Village ist der ehemalige Weinumschlagplatz an der Seine, die Lagerhallen wurden revitalisiert und eine lebhafte Lokal- und Geschäftsszene geschaffen. Sogar das Eis wird hier in Blumenform verkauft!