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Gleichgesinnte

Silva und ich haben uns im Büro kennengelernt und im Laufe der Jahre immer besser verstanden. Die meisten um uns herum waren erheblich jünger und so ergab es sich fast von selbst, dass wir uns immer öfter über Erfahrungen und Erinnerungen, bei denen die anderen nicht mitreden konnten, unterhielten. Wer war schon mit Heinz Conrads und Maul- und Klauenseuchenteppichen aufgewachsen? Sogar sprachlich waren wir manchmal Aliens, wenn wir wienerische Worte oder Ausdrücke verwendeten, die aus dem alltäglichen Sprachgebrauch längst verschwunden sind. Dazu haben wir ähnliche Interessen: Garten, Bücher, Geschichte, Reisen. Ich hatte einen Literaturkalender mit täglichen Gedichten und es war ein Heidenspaß für uns beide, ihr die Gedichte vorzulesen und sie den Autor erraten zu lassen. Zumindest von der Zeit her tippte sie fast immer richtig und dann war es halt Tucholsky oder Kästner. Auch wieder so ein Minderheitenprogramm für zwei Dinosaurier.

Großen Raum nahmen immer schon die Pflanzen in unserem täglichen Tratsch ein. Wir erzählten uns von neuesten Beutestücken, ererbten Bäumen (auch sie hat einen Kleingarten von ihren Eltern übernommen), von Wucherpflanzen und Kümmerlingen, wir tauschten Ableger und machten uns gegenseitig auf interessante Veranstaltungen aufmerksam. Überrascht war ich, als ich nach Jahren zum ersten Mal ihren Garten sah. Dass er naturnah ist, wusste ich, dass er SO naturnah ist, verblüffte mich dann doch. Das alte Haus mit der Holzfassade, die knorrigen Obstbäume, die in die Jahre gekommene Schneewittchen-Rose, die selten gemähte Wiese verströmen einen Vintage-Charme, der mich entzückt an meine Kindheit erinnert. Klare Beetstrukturen sucht man hier vergeblich, vieles ist überaltet und gehörte eigentlich entfernt. Doch Silva liebt ihre Pflanzen und pflegt sie hingebungsvoll bis zur endgültigen Aufgabe und wer könnte das besser verstehen als ich? Die Natur und ihre Geschöpfe haben bei ihr noch viel mehr Priorität als bei mir und das finde ich ziemlich beeindruckend.

Nach unserem fast zeitgleichen Ausscheiden aus dem Beruf blieben wir in Kontakt und treffen uns regelmäßig. Wir sind im selben Gartenklub, sehen uns gemeinsam Ausstellungen und Gärten an, tauschen Pflanzen, Bücher und Urlaubsfotos (ja, wir machen noch richtige Fotos, keine Handyschnappschüsse!) und berichten uns von Erfolgen und Misserfolgen mit unseren Lieblingen.

Als unermüdliche Bücherliebhaberin hat Silva meine Gartenbibliothek gewaltig bereichert – und mir damit so manchen Floh ins Ohr gesetzt. Dass ich angefangen habe, jedes ausgediente Gefäß in einen Wildpflanzentopf zu verwandeln, verdanke ich ihr bzw. einem Buch von Reinhard Witt. Dass ich meinen Mann in den Schlosspark Eisenstadt verschleppt habe, geschah nach Lektüre eines Wälzers über historische Gärten in Österreich (hat Christian aber nicht gestört, da im Park das ehemalige Lindenstadion liegt, in dem er als Kind mit seinem Vater ein Fußballmatch gesehen hat). Dass ich vor wenigen Wochen Schloss Nymphenburg (und vor allem den Park) mit anderen Augen gesehen habe, wurde von einem Buch über Klassiker der Gartenkunst angeregt. Dass ich meinen Pflanzen ein denkendes Eigenleben zutraue (siehe „Die g’scheiten Blumen„), resultiert aus Maurice Maeterlinck’s „Die Intelligenz der Blumen“. Aus einem abgründigen Büchlein über Giftpflanzen und deren fatale Wirkung auf Mitmenschen werde ich besser keinen praktischen Nutzen ziehen.

Zutiefst erschüttert hat mich „Die Geschichte der Bienen“ von Maja Lunde, das ich vor kurzem von ihr bekommen habe. In diesem Roman entwirft die norwegische Schriftstellerin in einem Handlungsstrang in der Zukunft eine düstere Vision von einer Welt, in der die Insekten ausgestorben sind. Zumindest war das der Anfang, in weiterer Folge verschwanden auch die Vögel, die Reptilien, die Amphibien, die Säugetiere, kurzum alle, die in der Nahrungskette unmittelbar oder indirekt von den Insekten lebten. Gleichzeitig gingen auch die Pflanzen verloren, weil sie niemand mehr bestäubte. Die Menschen waren gezwungen, selbst in die Bäume zu klettern und den Pinsel zu schwingen, um ihr Überleben zu sichern. Aber was für ein Überleben, welche Eintönigkeit, welche Trostlosigkeit. Ich flüchtete in meinen Garten und freute mich über jede verspätete Biene, die schon ein wenig benommen von den kühleren Temperaturen auf den Herbstastern herumbrummt. Grund genug, im Frühjahr über noch mehr insektenfreundliche Pflanzen nachzudenken.

Trotz aller Misserfolge animiert mich ein neues Buch über die „No-dig-Methode“, auch nächstes Jahr wieder Gemüse anzubauen. Christian nimmt es gleichmütig zur Kenntnis, auch wenn er mir schon seit Jahren zuredet, diese unergiebigen Versuche zu lassen. Alarmiert wird er nur, wenn Silva Bücher über englische Gärten anschleppt. Er sieht sich schon auf der falschen Straßenseite fahrend den nächsten weitläufigen Park ansteuern, den er unerbittlich mit mir durchwandern muss. Wenigstens gibt es in England ebenso viele Pubs wie Gärten.

Eure Flora

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