Buntnesseln
Im lichten Schatten gibt es keine dankbarere Pflanze als eine Buntnessel. Sie wächst zügig, hat dekorative Blätter in allen möglichen Farben, verzeiht zwei, drei Tage Trockenheit und lockt Ende des Sommers auch noch Insekten mit ihren unscheinbaren Blüten an. Von knalligem Pink über gelbgrün bis fast schwarz, einfärbig oder mit bunter Musterung rund um Ränder und Blattachseln – Buntnesseln sind ein echter Blickfang in Beet und Kübel. Nur – sie sind nicht winterhart.
Nicht winterhart, aber prinzipiell nicht einjährig. Wenn man sie also rechtzeitig ins Winterquartier stellt, kann man mehrere Jahre lang Freude an ihnen haben. Rechtzeitig heißt allerdings SEHR zeitig, denn fallen die Temperaturen unter 10° C, wird die pflegeleichte Schönheit schnell zur zickigen Diva. Das musste ich heuer wieder einmal erleben, wo ein paar kühle Morgengrade im Oktober meine Kübelnesseln dahingerafft haben, bevor ich sie in Sicherheit bringen konnte. Lediglich eine Sorte sah zwar mitgenommen, aber halbwegs lebendig aus und von ihr schnitt ich noch schnell ein paar Stecklinge.
Vor zwei Jahren hatte ich ebenfalls Stecklinge genommen, sie sofort in Töpfe eingesetzt und in die warme Wohnung gebracht. Das Winterquartier soll nämlich nicht weniger als 15° C aufweisen, damit fällt das Gartenhaus aus. Zu meiner großen Freude wuchsen die Stecklinge an, bildeten neue Blättchen (wenn auch durch Lichtmangel nur kleine) und ich hatte große Hoffnungen für den nächsten Sommer. Bis ins Frühjahr hinein waren die auch berechtigt und dann welkten die Pflanzen binnen weniger Tage, warfen das Laub ab und verdorrten ohne für mich sichtbaren Grund.
Deswegen habe ich mir eine neue Strategie überlegt. Diesmal will ich nicht nur glauben, dass die Stecklinge Wurzeln bilden, ich will sie SEHEN! Die Triebspitzen bleiben daher den ganzen Winter im Wasser und erst wenn sie ordentlich angesetzt haben, pflanze ich sie in Erde. So kann ich sie vorläufig auch nicht zuviel oder zu wenig gießen. Eine Freundin, die noch Buntnesseln von ihrer längst verstorbenen Oma (!) Jahr für Jahr weiterzieht, hat mir versichert, dass beide Methoden (Erde und Wasser) zum Erfolg führen. Überhaupt versteht sie meine Probleme nicht, Buntnesseln weiterzubringen ist doch kinderleicht, das geht doch eh von selber… Nicht gut für mein Ego, kann ich euch sagen.
Noch vor unserem Mauritius-Urlaub stellte ich die Stecklinge in einen Bierkrug und schärfte meiner Tochter ein, das Gefäß ja nicht austrocknen zu lassen. Als ich heimkam, waren die Blätter trotz ausreichend Wasser im Krug samt und sonders dürr, lediglich die Stängel schimmerten noch grün. Wurzeln hatten sich keine gebildet. Wäre vielleicht ein durchsichtiger Glaskrug besser gewesen? Da eine Pflanze bei mir schon dreimal tot sein muss, um mich von ihrem Ableben zu überzeugen, füllte ich frisches Wasser nach und übte mich in Geduld. Siehe da, es treiben kleine Blättchen an den Spitzen aus! An zwei Stängeln habe ich sogar winzige Wurzelfäden gefunden! Wenn alles überlebt, kann ich nächstes Jahr sechs prächtige Buntnesseln im Garten verteilen. WENN, und von Pracht ist im Moment auch nicht viel zu sehen.
Natürlich ist es keine Katastrophe, wenn ich nächstes Jahr ein paar neue Buntnesseln kaufen muss. Aber mein grüner Ehrgeiz will halt partout nicht einsehen, dass ich, ausgerechnet ich, nicht imstande bin, ein paar Stecklinge über die kalte Jahreszeit zu bringen. Es ist doch kinderleicht und geht eh von selber. Kinderleicht, wenn ich das schon höre! Das ist ja fast eine Garantie dafür, dass es bei mir nicht funktioniert. Aber aufgeben kommt nicht in Frage. Ich werde die Buntnesseln am besten Fensterbrett platzieren, dann gibt’s aber keine Ausreden mehr fürs Dahinsiechen. (Muss eben der Zitronenthymian weichen, bei dem erhärtet sich ohnehin der Verdacht ewiger Dürre. Kann ich bitte mehr Fensterbretter haben?) Und ich werde weiter berichten.
Eure Flora