Das pralle Leben
Letzten Sonntag machte ich etwas, was ich viel zu selten mache. Wir waren um 11.00 Uhr zu einem Gartenfest eingeladen und da wollte ich nicht abgekämpft erscheinen. Also setzte ich mich nach dem morgendlichen Gießen mit meinem zweiten Kaffee auf mein Bankerl und tat- nichts. Normalerweise stürze ich mich, solange die Temperatur noch erträglich ist, sofort auf die Gartenarbeit. Wenn ich dann endlich dazu komme mich hinzusetzen, bleibt nur mehr die Flucht in den Schatten und ich habe kaum noch Energie, den Garten aufmerksam wahrzunehmen.
Aber an diesem Morgen genieße ich das erzwungene Nichtstun und sehe dem Treiben rund um den Brunnen zu. Die Eibenhecke wirft noch einen langen Schatten über mich hinweg bis zur Ziegelmauer und ich beobachte entspannt, wie die Grenze langsam näherrückt. Sobald die Sonne die Pflanzen der Umrandung erreicht, kommen die Insekten. Die Salvie ist schon ziemlich abgeblüht, aber um die letzten Blüten tummelten sich bald Bienen und Schwebfliegen. Der Star ist momentan der Hopfenoregano, den ich voriges Jahr im Kräuterbeet wiederentdeckt und auf eine freie Stelle neben dem Miniteich versetzt habe. „Kent Beauty“ hat sich prächtig erholt und blüht verschwenderisch. Wie jeder Dost ist er ein Insektenmagnet und es summt und brummt um ihn herum. Die Spanischen Gänseblümchen stehen unbeachtet daneben und werden von keinem einzigen Insekt angeflogen. Ich sehe (in meinen Augen gewöhnliche) Honigbienen, Mauerbienen, Erdhummeln und Schwebfliegen, wie sie in die aufgefächerten, hopfenartigen Blüten hineinkrabbeln und sich am Frühstücksbüffet bedienen.
Jetzt kommt eine kleine, fast schwarze Biene angesaust, von der ich wieder einmal keine Ahnung habe, wie sie heißt. Sie grast ein paar Blüten ab und fliegt dann auf das Erd-Sandgemisch daneben, in dem die Pflanzen zwischen Trog und Mauer wurzeln. Und weg ist sie! Wie bitte? Sie kann doch nicht auf einmal verschwinden?! Ich beuge mich vor und sehe genauer hin. Tatsächlich, da ist ein kleines Loch im Boden, da muss sie hineingekrochen sein. Offensichtlich ist die Kleine eine Erd- oder Sandbiene, der das frische Substrat, mit dem ich die Umrandung vor kurzem aufgefüllt habe, gefallen hat. Gelesen habe ich schon darüber, aber noch nie eine in Aktion gesehen!
Eine plötzliche Bewegung, die ich aus dem Augenwinkel wahrnehme, lässt mich zum Storchschnabelbeet schauen. Der einjährige Rittersporn schaukelt heftig und die Ursache ist nicht zu übersehen: Eine blaue Holzbiene versucht auf einer Blüte Halt zu finden, was bei dem zarten Stängel nicht ganz einfach ist. Von der anderen Seite nähert sich ein weiterer seltener Gast, ein Taubenschwänzchen, und möchte auch etwas Nektar von dem verlockenden blauen Teller. Die Holzbiene schwirrt weiter von Blüte zu Blüte und bringt mit ihrem Gewicht alles zum Schwanken. Das Taubenschwänzchen läst sich jedoch nicht nieder und will in der Luft stehend mit seinem langen Rüssel trinken. Aber immer wenn es in Position ist, neigt sich die Blütenkerze in die andere Richtung und der Rüssel fährt ins Leere. Ein paar Mal geht die Slapstickeinlage hin und her, bis die Holzbiene endlich satt ist und das Taubenschwänzchen auch zum Zug kommt.
Vor meiner Nase kurvt eine Wespe vorbei und visiert den Teich an. Die Seerosenblätter sind ein perfekter Landeplatz für sie. Vorsichtig tastet sie sich bis zur Wasseroberfläche vor und trinkt. Da, noch eine durstige Wespe! Und noch eine! Wie bei einem gut einstudierten Manöver einer Fliegerstaffel erhebt sich jedes Mal die Wespe, sobald die nächste landet. Faszinierend! Ich entdecke gleich noch etwas Faszinierendes: eine kleine, wahrscheinlich noch ganz junge Gottesanbeterin, die sich unsicher über einen Winterheckenzwiebel in die Höhe tastet.
Dass die Winterheckenzwiebel für die Schnecken der Umgebung eine Delikatesse ersten Ranges sind, ärgert mich zwar, ist aber nicht zu ändern. Nach vier Jahren habe ich mich mit den abgenagten Röhren abgefunden. Heute sehe ich in aller Ruhe zu, wie sich eine kleine Gehäuseschnecke nach der Schlemmerei abwärts bewegt, um den heißen Tag in einer der Spalten der Ziegelmauer zu verdösen. Erstaunlich graziös turnt sie von dem Stängel auf die Ziegelmauer und kriecht schräg über die Ziegel in einen Unterschlupf auf der schattigen Seite der Mauer, wo sie sich in ihr Haus zurückzieht. Ich verzeihe ihr sogar die ungustiöse Schleimspur, so anmutig war ihr Abstieg.
Mittlerweile ist die Sonne bei meinen Knien angelangt und der Platz wird ungemütlich, es ist auch Zeit zum Aufbrechen. Ich nehme mir ganz fest vor, bald wieder einen Morgen so herrlich im Gartenkino zu verbringen. Also wenn ich mit den Beeten fertig bin. Nächste Woche. Oder übernächste.
Eure Flora