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Neid

Pflanzen haben die unerklärliche Eigenschaft, in manchen Gärten vor Kraft zu strotzen und in anderen gerade mal so zu überleben. Wenn sie in dem einen Garten ein kümmerliches Schattendasein hinter dem Haus fristen, während sie beim Nachbarn ein sonniges Leben im kompostgefütterten Prachtbeet führen, ist das ja einleuchtend. Wenn sie aber Zaun an Zaun in derselben Sonne, in derselben Erde höchst unterschiedlich auftreten, grenzt es an willkürliche Bosheit. Und wenn stets derselbe Gärtner den kürzeren zieht, kann das, vor allem in einer Kleingartenanlage, in Neid ausarten.

Meine Mutter hatte ein Händchen für Fisolen (grüne Bohnen), Datteltomaten und Zucchini. Anderes Gemüse gedieh bei ihr nicht. Gewiss, sie hatte Knollensellerie, Karotten, Radieschen, Spinat, Salat (es war die gute, alte, schneckenlose Zeit!) und Petersilie, manchmal auch Kohlrabi. Schaute sie jedoch zwei Meter weiter zur Nachbarin, die ihr Gemüsebeet spiegelgleich zu uns angelegt hatte (war ja auch der beste Platz), wurde ihr Blick finster. Die Sellerieknollen waren gut doppelt so groß, die Petersilie so üppig, dass uns die gute Frau stets eine Armvoll herüberreichte (Arm! nicht Hand), die dicken Karotten hätten eine Hasenfarm ernähren können – kurz, die Nachbarin, eine gemütliche, dicke, ältere Burgenländerin, hatte einen grünen Daumen, wie er im Buche steht. Gutmütig und freigiebig, wie sie war, teilte sie mit meiner Mutter Samen und Sämlinge, die bei ihr im Überfluss sprossen. Sie gab ihr sogar die schönsten und größten. Wenn sie schon erntete, waren die Kleinen bei uns grade mal aus dem Gröbsten heraußen. Wenn sie einmal vorgezogene Pflänzchen auf dem Markt kaufte (was in den 60ern kaum vorkam, da hatte jeder Gärtner seine eigene Samenbank), brachte sie meiner Mutter welche mit.

Einmal schenkte sie ihr Paprikastauden, eine Begebenheit, die sich in meiner Kindheit unauslöschlich in mein Gedächtnis eingegraben hat. Es waren sechs Stauden, je drei hüben und drüben, praktisch nebeneinander. Meine Mutter war wild entschlossen, diesmal alles richtig zu machen. Sie begann auf der Lauer zu liegen, griff zur Gießkanne, wenn die Nachbarin wässerte, arbeitete Düngetorf ein, wenn es die Nachbarin tat, und jätete fast täglich jedes Unkräutlein weg. Trotzdem dauerte es nicht lange und die drei fremden Paprikastauden grinsten doppelt so groß auf die unseren herab. Dass sie überreich blühten, Früchte ansetzten und diese dann eine rekordverdächtige Größe annahmen, versteht sich fast von selbst. Die Nachbarin kochte gefüllte Paprika auf Vorrat ein, wir teilten uns zu dritt einen Winzling zum abendlichen Wurstbrot. Während ich schon als Kind die Komik in der Situation sah, entwickelte meine Mutter fast Hassgefühle gegen die harmlose Frau. Sie war überzeugt, dass es irgendeinen Trick gäbe, den ihr das garstige Weib nicht verraten wollte und den sie sicher heimlich in der Nacht anwandte. Angewidert von soviel Hinterhältigkeit, plauderte sie immer weniger über den Zaun, bis eines Tages Alter und Übergewicht ihren Tribut forderten und die Nachbarin den Garten aufgeben musste.

Mein Vater und ich waren jahrelang die Leidtragenden dieses absurden Wettstreits gewesen: Um wenigstens irgendwo die Nase vorn zu haben, ließ meine Mutter ihre Fisolen und Zucchini wachsen, bis sie größer als die der Nachbarin waren. Natürlich waren die Fisolen holzig (falls jemand diesen Ausdruck nicht versteht: wir spuckten regelmäßig harte Fäden aus wie bei schlecht geschältem Spargel) und die Zucchini wässrig. Als ich meinen Mann kennenlernte und er auf dem Markt frische Fisolen für einen Salat kaufte, hätte ich ihn fast verlassen. Heute lachen wir darüber.

Wenn ich manchmal sage „Mich frisst der Neid„, ist es bei mir vielmehr ein bewunderndes „Wow, so einen Garten hätte ich auch gerne“, niemals echter Neid. Irgendwer kann immer irgendwo irgendwas besser als ich. Außerdem weiß ich, dass jeder ehrliche Gärtner sein persönliches Pflanzen-Waterloo hat. Eine liebe Frau aus der Anlage, eine begnadete Gemüsegärtnerin, bei der einfach ALLES zu gedeihen scheint, gestand mir, dass sie den Brombeerableger, den sie sich von mir erbeten hatte, umgebracht hat. Er ist eingegangen wie alle anderen Brombeeren, mit denen sie es je probiert hat. Himbeeren hat sie kiloweise, Erdbeeren, Ribisel – aber Brombeeren bringt sie kein Jahr durch. Sie gibt es jetzt auf.

Zum Abschluss noch eine lustige Neidgeschichte: Meine jetzigen Nachbarn sind äußerst akkurate Gärtner, bei denen kein Grashalm schief stehen und kein Blatt unordentlich zu Boden fallen darf. Den Anblick meines Naturgartens ertragen sie geduldig, aber ihr Stil ist es keinesfalls. Wenn ich mich dann einmal aufraffe und das Gras mähe oder die Hecke schneide, dauert es meist keine 24 Stunden, bis auch aus dem Nachbargarten der Rasenmäher oder die Heckenschere ertönen, selbst wenn der letzte Schnitt noch gar nicht lange her ist. Denn dass MEIN Garten auch nur zwei Tage lang gepflegter aussehen könnte als ihrer – DAS ertragen sie nicht.

Eure Flora

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