Über den Tellerrand geschaut
Ich habe mich sehr auf die üppigen Gärten von Versailles gefreut. Vor fast 50 Jahren habe ich mit meinen Eltern Schloss und Park besucht und in meiner Erinnerung waren die Prachtbeete auf den Terrassen übersät mit bunten Farben. Es war die damals übliche Wechselbepflanzung mit einjährigen Sommerblumen.
Die Bepflanzung der barocken Anlagen ist immer noch hübsch, aber… so glanzvoll wie damals kam sie mir nicht mehr vor. Die mickrigen Eibenkegel brachten sogar meine mitgereiste Tochter, die Schloss und Park zum ersten Mal sah, zum Lachen, was ist denn da passiert? Die Staudenbeete würde ich anderswo gelungen finden, aber als barocke Broderie sind sie ein wenig farblos und passen nicht recht ins Bild. Mit der einstigen Leuchtkraft von knalligen Pelargonien und Begonien können sie halt nicht mithalten. Eingestreuter Mehlsalbei und Spinnenblumen sind nett, aber nur aus der Nähe betrachtet. Die Fernwirkung ist begrenzt, treten sie nicht ausschließlich auf (siehe „Fremde Gärten„). Freilich sind die überwiegend Stauden heute ökologisch wertvoller und eigentlich sollte ich mich als Naturgärtnerin darüber freuen, dass nicht jährlich Tausende Wegwerfblumen entsorgt werden. Und wahrscheinlich ist Ende September auch nicht die beste Jahreszeit für einen Vergleich mit den Sommerbeeten von früher. Aber so ist das halt mit Bildern aus der Vergangenheit, die man im Kopf hat. Die Realität der Gegenwart kann da nie mithalten und es ist manchmal besser, Erinnerungen nicht aufzufrischen.
Tatsächlich hat uns der gesamte Versailles-Besuch etwas enttäuscht. Der Andrang war so gewaltig, dass wir trotz lange vorgebuchter Eintrittszeit durch das Schloss nur durchgeschoben wurden, nicht einmal der Spiegelsaal konnte königliches Flair verströmen. Wie denn auch, wenn er vollgestopft ist mit selfieheischenden Touristen? Die letzten Säle und Galerien haben wir abgekürzt und atmeten erst im Freien wieder auf.
Zurück zu den ökologischen Zielen in Frankreich und im Besonderen in Paris. Seit 2017 ist der Einsatz von Pestiziden in öffentlichen Grünanlagen landesweit verboten. Die rot-grüne Stadtregierung unter Bürgermeisterin Anne Hidalgo verfolgt seit 2014 noch viel ehrgeizigere Pläne. Schrittweise wird der Autoverkehr in der Stadt zurückgedrängt und „Végétalisation“ (Begrünung) findet allerorts statt. Auf großen Plätzen entstehen aus Dutzenden Bäumen regelrechte Stadtwäldchen, Dächer und Hausfassaden werden großflächig bepflanzt und ganze Straßenzüge in „rues-jardin“ (Gartenstraßen) umgewandelt. Wir haben auf den Champs-Élysées zugesehen, wie die unzähligen Alleebäume der Prachtstraße dicht mit Efeu unterpflanzt werden. Da kommt ordentlich Grünmasse zusammen! „Soll das die nackten Stämme hinaufwachsen?“, wollte meine Tochter wissen. Vielleicht, mag sein, dass der Efeu auch kurz gehalten wird, um nur die kahlen Baumscheiben zu bedecken und zu verhindern, dass sie als Mistkübel und Hundeklo missbraucht werden. Wir waren bestimmt nicht das letzte Mal in Paris (es war bereits das vierte Mal, Paris ist einfach „unsere“ Stadt), wir werden es also bei unserem nächsten Besuch wissen.
Den Einwohnern scheinen die Maßnahmen zu gefallen, denn erst im März dieses Jahres stimmten sie der weiteren Umwandlung von 500 (!) Straßen in der Stadt zu. Dass dabei rund 10.000 Parkplätze wegfallen, nehmen sie in Kauf. Mehr als ein Zehntel der Pariser Straßen werden dann grüne Wohnareale ohne Autoverkehr sein. Insgesamt 170.000 neue Bäume sollen langfristig die Temperatur zwischen den Häusern abkühlen und die Lebensqualität in den Vierteln nachhaltig verbessern. Einzelstudien und Prognosen von Méteo France, dem staatlichen Wetterdienst, bestätigen erste Erfolge. Vor allem die typischen Zinkdächer heizen sich enorm auf und eine Begrünung halbiert (!) die Umgebungstemperatur.
Als Nichtfranzösin steht es mir nicht zu, die Maßnahmen in Paris zu bewerten. Alles wird schon nicht so perfekt laufen, wie es sich auf den ersten Blick anhört. Anne Hidalgo muss auch einige Kritik aushalten, wurde jedoch für eine zweite Amtszeit wiedergewählt und verfolgt mit zäher Beharrlichkeit ihren Kurs. Im Vergleich dazu nimmt sich die propagierte Begrünung in Wien zaghaft und kleinkariert aus, wird doch schon jedes Stämmchen im Bezirksblatt mit einem Foto von Bezirksvorsteher(in) oder Stadträtin mit Spaten in der Hand gefeiert. Aber es findet langsam ein Umdenken statt und ich freue mich über jedes Pflänzchen, das dazukommt, auch wenn wir eher kleckern statt wie in Paris zu klotzen. Es ist meine feste Überzeugung: Jeder Grashalm zählt. Für uns, für die Tierwelt, fürs Klima, für unsere Zukunft.
Eure Flora