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Der Veitchii

Ein wenig ist er aus der Mode gekommen, der Veitchii. In den 80er-Jahren, als die grüne Bewegung in Schwung kam, wurden zahlreiche Hausmauern mit ihm begrünt und der „Veitschi“ war in aller Munde. Ich erinnere mich noch an einen Streit im Büro um einen Innenhof mit einer hässlichen, kahlen Wand. Die Kollegen, die sie tagtäglich vor Augen hatten, hatten die Idee, dort einen Trog mit Veitchii aufzustellen, nur gehörte die Mauer zum Nachbarhaus. Unser Chef, ein altgedienter Beamter knapp vor der Pensionierung, wehrte sich heftig gegen die Zumutung, mit der fremden Hausverwaltung wegen so einer Spinnerei zu sprechen und die Wogen gingen hoch. Irgendwann gaben die Kollegen auf und stellten ein paar Kübelpflanzen vor die Wand.

Wenn man damals mit Leuten sprach, auch solchen, die nicht unbedingt Pflanzenexperten waren, wusste jeder, was der Veitchii ist. Heute kommt meist die Rückfrage „Meinst du einen Wilden Wein?“ Ja, irgendwie schon, nur hieß er damals im Gärtnersprachgebrauch „Mauerkatze“, mittlerweile taucht er allerorts als „Wilder Wein Veitchii“ auf. Parthenocissus sind sie beide, der weinlaubartige Veitchii und der gängigere fünfblättrige Engelmannii, der für mich (aber anscheinend nur für mich) der „echte“ Wilde Wein ist. Sie klettern auch beide mithilfe ihrer Haftscheiben hoch, also muss ich mich wohl daran gewöhnen, ihn „Wilder Wein“ zu nennen. Na gut.

Meine Villa ist rundherum mit grauen Eternitplatten abgedeckt, was zwar absolut praktisch, aber ebenso absolut unattraktiv ist (siehe „Villa Kunterbunt„). Die Platten zu entfernen, um nicht in einem „Grauen Haus“ (in Wien ein Synonym für ein Gefängnis) zu wohnen, kam wegen der Kosten einer neuen Fassade für mich nie in Frage. Außerdem konnte ich das meinem Vater nicht antun, der die Platten in Eigenregie mühevoll angebracht hatte. Also begrünen. Meine Idee, an der Wetterseite des Hauses eine Betonplatte zu rauszunehmen und die Kletterpflanze direkt in die Erde zu setzen, löste bei meinem Vater Horrorvisionen von feuchten Mauern bis hin zum Einsturz des Hauses aus. Damit die Tochter nur ja nicht auf gefährliche Abwege geriet, spendierte er mir sogar eine Eternitwanne, damit ich meine Mauerkatze baulich unbedenklich einpflanzen konnte. Erst allmählich legte sich seine Sorge, der Kletterer könnte die Fassade ruinieren, als er sah, dass sich der Veitchii brav außen hinaufhantelte und keine Anstalten machte, unter die Platten zu gelangen.

Ich wollte die Seite, die bis auf ein Dachbodenfenster nicht unterbrochen ist, sobald wie möglich grün haben und versuchte den Veitchii mit Klebestreifen zu einem aufgefächerten Wuchs zu bewegen. Doch der Schlingel hatte andere Pläne als sich von mir an glühend heiße Platten heften zu lassen. Alle Triebe, die in die pralle Mittagssonne gerieten, verdorrten bald, stattdessen strebten die Ranken steil nach oben, wo der Marillenbaum mehr Schatten spendet. Nach jahrelangem zähen Ringen gab ich auf und ließ ihn wachsen, wohin er wollte. Und er will immer noch. Eines Tages entdeckte er die Vorderseite des Hauses, wo er erst zaghaft mit einem Trieb auftauchte. Mittlerweile hat er die ganze Breite erobert und ich muss meine Haustür freischneiden. Ich bin gespannt, wann er sich die nächste Hausecke vorknöpft.

Lange Zeit bereitete uns das Blättermeer Sorge, weil sich darin viele Wespen herumtrieben. Anscheinend mochten sie die winzigen Blüten und Früchte und ich hatte stets Angst, dass sie über uns auf der Terrasse herfallen könnten. Aber sie waren einfach nur da und kümmerten sich nicht groß um uns (außer wenn Essen auf dem Tisch steht, aber da war es auch nicht schlimmer als überall anders). Heuer erschreckte mich ein gewaltiges Brausen vor der Haustür. Ich sah hoch und da waren unzählige Bienen, die die Tausenden von Blüten umschwirren. So überreich hat der Veitchii meines Wissens nach noch nie geblüht und das Gewimmel ist ziemlich beeindruckend. Dafür gibt es keine einzige Wespe. Da unsere Haustür wegen der Hitze ohnehin untertags geschlossen ist und am Abend die Bienen weg sind, sind das einzige Problem die abgefallenen Blüten, die ich dreimal täglich von der Terrasse kehren muss, wenn ich mein Haus nicht komplett verdreckt haben will. Mach ich gerne in dem Bewusstsein, wieder einen Bienenhotspot geschaffen zu haben.

Am schönsten trumpft der Veitchii im Herbst auf, wenn er die Hausfassade mit seinem leuchtenden Rot überzieht. Ich freue mich jedes Jahr auf das atemberaubende Farbspektakel. Wenn die Blätter abgefallen sind, ist die Gartensaison vorbei. Im Frühjahr bekommt der Veitchii wieder eine ordentliche Portion Dünger, schließlich müssen seine Wurzeln mit der Erde in der Wanne auskommen. An ein Umsetzen in ein größeres Gefäß ist nicht zu denken. Und er wächst und wächst und wächst…

Eure Flora

Nein, da rüber wachs ich nicht!
Die nächste Ecke ist nicht mehr weit.
Ein Blütenmeer.
Herbstfeuer

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