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Vögel füttern

Ich füttere keine Vögel. Zumindest nicht im herkömmlichen Sinn mit Futterhäuschen, Futterspender oder Futterringen. Tatsächlich aber erwartet meine gefiederten Freunde in meinem Garten rund ums Jahr ein großzügiges Büffet mit Insekten, Würmern, Raupen und Samen – sie müssen nur zugreifen.

Wäre ja nicht ich, würde ich deswegen nicht sofort ein schlechtes Gewissen haben. Bei jedem Artikel in Zeitschriften, Internet oder Ratgeberbroschüren, die mir alle dasselbe sagen, nämlich dass man den Vögeln unbedingt in der kalten Jahreszeit unter die Flügel greifen muss, poppt es wieder auf. Sollte ich nicht doch regelmäßig in den Garten fahren und die empfohlenen Sonnenblumenkerne, Apfelstückchen und Mehlwürmer anbieten? Einmal in der Woche, das kann doch nicht so schwer sein. Doch, ist es, vor allem weil ich mich auf einen bestimmten Tag festlegen müsste. Sonst sitzen die Piepmätze vor überwiegend leerem Häuschen und vergeuden wertvolle Energie damit, auf Nachschub zu warten. Es geht einfach nicht.

So bleibt mir nichts Anderes übrig, als die schuldbewussten Gedanken niederzuringen und mir Tröstliches zuzurufen. Die Nachbarn füttern eh, zum Beispiel. Mittlerweile wohnen viele Leute ganzjährig in der Anlage und von denen hat fast jeder im Winter das flatternde Kino vor der Haustür. Die kleinen Racker sind schon so von den vorgesetzten Nüssen, Sonnenblumenkernen und Obst verwöhnt, dass sie meine Hagebutten, Felsenmispeln und Samenköpfe verschmähen. All inclusive ist halt bequemer als sich sein Essen selber zu suchen. Klar, meine Kinder haben auch nur Obst gemocht, wenn ich es appetitlich auf einem Teller angerichtet habe. Ihnen einen ganzen Apfel zum Abbeißen oder eine Orange zum Selberschälen hinzuhalten, brachte nur Kopfschütteln hervor. Nein danke. Solange die Beeren an den Sträuchern hängenbleiben, muss ich mir eigentlich keine Sorgen machen, die Bande ist wohl ausreichend verköstigt.

Meine große Zeit beginnt im Frühjahr, wenn der hungrige Nachwuchs nach Proteinen schreit. Da bleiben dann die Kerne in den Futterhäuschen liegen, denn jetzt ist Frischfleisch gefragt. Läuse, Raupen, Larven, Ameisen, Würmer – bei mir wird gepickt, gezupft und gesammelt, bis die Schnäbel überquellen. Vor allem die Kohlmeisen stürzen sich auf meine Bäume und Sträucher, wo sie gemeinsam mit den Marienkäferlarven fleißig die Läuse ausdünnen. Wenn ich dann die Nachbarin mit der Giftdose sprühen sehe, könnte ich verzweifeln. Ich habe ihr schon einmal versucht zu erklären, dass sie mit ihrer Aktion genau dieselben Hansis vergiftet, die sie ein paar Meter weiter mit einem luxuriösen Häuschen anlockt. Aber die Geduld, auf die natürliche Kampftruppe zu warten, hat sie nicht. Bleibt nur die Hoffnung, dass die Vögel der Bequemlichkeit halber eher meinen reich gedeckten Tisch anfliegen als ihre perfekt getrimmten Sträucher.

Ich bin stolz auf mein Biobüffet und noch stolzer bin ich, wenn es von den Gästen angenommen wird. Wenn die Bienen und Schwebfliegen um meine Blüten summen, wenn die Libellen über meinen Miniteichen ihre Manöver fliegen, wenn die Wespen im Veitchii so beschäftigt sind, dass sie mein Essen in Ruhe lassen, wenn die Spatzen auf meinen Sonnenblumen schaukeln, die Eidechsen entspannt in der Sonne liegen und die Molche die Gelsenlarven dezimieren – dann ist die Welt noch in Ordnung. Zumindest 352 m² davon.

Eure Flora

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Stoiber Egon

    Danke für die Versorgung mit den Geschichten aus dem Paradies – guten Rutsch ins 2026 und möge die Saat aufgehen.

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