Meine gefiederten Freunde
Am liebsten waren mir die Spatzen. Wahrscheinlich, weil sie meine Mutter immer als „freche Ludern“ bezeichnet hat. Ungestraft frech sein zu dürfen, war für ein Kind in der 60er Jahren schon etwas Besonderes. Gefüttert hat sie sie trotzdem. Sie sammelte das alte Öl, das sie zum Kochen nicht noch einmal verwenden wollte und röstete Semmelbrösel darin ab. Ob das artgerechtes Vogelfutter ist, weiß ich nicht, die Spatzen waren jedenfalls begeistert. Jeden Tag saß die ganze Bande pünktlich um 11 Uhr am Gartenzaun und forderte lautstark ihr Mittagessen. Sogar im Winter fuhren wir einmal in der Woche in den Garten und stopften das Futterhaus mit dem fetten Gemisch voll.
Die Krähen waren damals nur im Winter da. Ihre Ankunft in Schwärmen war jedes Jahr ein Ereignis und das Zeichen, dass Allerheiligen vor der Tür stand. Sie bekamen Essensreste ab, ein Stück panierten Fisch etwa, das am nächsten Tag keiner mehr wollte. Witzig war ihr Kommunikationssystem: Die Anlage lag in den kalten Monaten verlassen da, ganzjährig bewohnbare Häuser wurden erst viel später erlaubt. Wenn sich nun jemand blicken ließ, war sofort ein Wachposten zur Stelle und äugte aufmerksam von der Stromleitung auf den Besucher herab. Merkte er, dass sich Futter anbahnte, tönte sein „Kroah, kroah“ weithin und rief blitzschnell seine Gefährten auf den Plan. Ein Zerkleinern des Futters war nicht nötig, das übernahmen die „Schackis“ mit ihren kräftigen Schnäbeln selber.
Im Sommer kamen neben den Spatzen vor allem die vielen „Hansi“, für die immer Sonnenblumenkerne bereit standen. Das „Zizibe“ der Kohlmeisen ließ mich sofort ins Haus sausen und ein paar Kerne holen. Die Mutigsten setzten sich auf meine flache Hand und suchten sich dort die besten Stücke aus. Auch die Meisen hatten ein Sozialsystem. Jeder der kleinen Haudegen warf eine Menge Kerne auf den Boden, bevor er sich entschied. So kamen auch die Schüchternen zu ihrem Futter.
Als sich ein Buchfinkenpärchen mit durchdringendem „Tschink“ in unserem Garten niederließ, waren die Sonnenblumenkerne schnell passé. „Hansi“ brauchte nicht lange, um zu bemerken, dass die seltenen Gäste mit Walnussstückchen verwöhnt wurden und verschmähte fortan die bisherigen Leckerbissen. Gnadenlos wurden die Kerne von der Hand gefetzt und blieben unbeachtet liegen. Bis meine Mutter die Nüsse auch für die Meisen herausrückte. Ab da waren unsere Herbstwanderungen von der Suche nach Nussbäumen dominiert und mein Vater hatte eine Beschäftigung für lange Winterabende.
Hin und wieder ließ sich ein scheues Rotschwänzchen sehen und natürlich waren da die Amseln, die unsere Regenwürmer dezimierten. Mittlerweile sind sie wieder in großer Zahl da, nachdem sie in den Jahren des großen Amselsterbens fast verschwunden waren. Buchfinken habe ich schon ewig keinen mehr gesehen, die veränderte Gartenlandschaft mit Thujen, Kirschlorbeer und Swimmingpools bietet ihnen wohl keinen Lebensraum mehr. Und noch einen Vogel meiner Kindheit vermisse ich seit langer Zeit, die Drossel mit ihrem unverwechselbaren Tüpfchenkleid. Ein paar Leute in der Anlage hatten sich den Luxus einer Telefonleitung geleistet und die Drosseln konnten das Klingeln so täuschend echt nachmachen, dass mancher vergeblich zum Hörer griff.
Ich füttere prinzipiell keine Vögel, trotzdem fühlen sich Amseln, Meisen, Spatzen und Gartenrotschwänze wohl bei mir und meinem reich gedeckten Gartentisch. Manchmal kommt ein Buntspecht vorbei und trommelt morsche Rindenstücke vom Marillenbaum. Da halte ich dann die Luft an und bin sehr, sehr stolz.
Eure Flora