Beerenglück
Zu meinen liebsten Kindheitserinnerungen im Garten gehört das Naschen schwarzer Johannisbeeren, Stachelbeeren und Himbeeren vom Strauch. Wir hatten auch rote Ribisel und Erdbeeren, doch die mochte ich nicht, erstere, weil sie mir zu sauer waren, und letztere, weil es so viele waren, dass ich sie tagtäglich essen MUSSTE (siehe „Obst ist gesund„). Die Beerensträucher stammten alle noch von meiner Großmutter, aber im Laufe der Zeit verschwanden sie. Als erstes rodete meine Mutter die Stachelbeeren, dann die schwarzen Ribisel, warum weiß ich nicht. Vielleicht war ihr die Arbeit zu viel, vielleicht standen sie ihr im Weg, vielleicht hatte sie für die Früchte nichts übrig. Die roten Ribisel setzte sie von ihrem Sonnenplatz in der Mitte des Gartens in den Schatten hinter dem Haus um, wo sie uns noch ein paar Jahre lang Früchte für den obligaten täglichen Obstkuchen bescherten.
Die Himbeeren hinter dem Haus hielten sich am längsten, bis meine Mutter eines Tages beschloss, auch sie auszugraben. Sie war die Pflege der stacheligen Gesellen leid, sagte sie. In meiner Erinnerung hatten Himbeeren damals auch noch ärgere Stacheln als heute. Abgesehen von den Obstbäumen blieben nur noch die leidigen Erdbeeren im Garten, mit denen meine Mutter mich und später auch meinen Mann überschwemmte. Die Himbeeren vermisste ich am meisten und sobald mir der Garten gehörte, pflanzte ich einen großen Stock an die Stelle, wo sie einst gestanden hatten. In den Schatten, in den schweren verdichteten Boden hinters Haus (als der Kanal in unserer Anlage verlegt wurde, hatten dort die Bagger gewütet), ich wusste es halt nicht besser. Die Himbeeren gediehen trotzdem prächtig, wir konnten Marmelade einkochen und unseren eigenen Drink kreieren: Himbeergeist mit frisch gepflückten Himbeeren im Glas (analog zum „Willi“, den wir vom Schiurlaub kannten). Nachdem ich hundert Mal gelesen hatte, dass Himbeeren Sonnenkinder sind, setzte ich sie in den Bauerngarten um, doch da kam ich schlecht an. Die Ruten darbten vor sich hin, bis ich sie frustriert wieder hinters Haus verbannte. Seit zwei Saisonen haben wir wieder Himbeermarmelade.
Beim Grazer Onkel meines Mannes lernte ich „Weinbeeren“ kennen. Die Früchte des dornigen Gestrüpps begeisterten mich sofort und ich bat den Onkel um einen Ableger, der prompt im Herbst geliefert wurde. Die Bezeichnung „Weinbeeren“ hielt ich für eine steirische Marotte, haben die Beeren doch gar nichts mit Weintrauben zu tun. Erst viele Jahre später fand ich beim Blättern in einem Baumschulkatalog „Japanische Weinbeeren“. Hoppla, das kenn ich doch! Schließlich entdeckte ich, dass sogar Eipeldauer (siehe „Kennen Sie den Eipeldauer?„) die Pflanzen schon beschrieben hat, allerdings äußert er sich nicht gerade enthusiastisch darüber, eher nach dem Motto: „Wenn Ihnen nichts Besseres einfällt, pflanzen Sie’s halt.“ Meine Kinder hingegen konnten es kaum erwarten, dass die Beeren rot wurden und riskierten zerstochene Finger für ihr Lieblingsnaschobst. Man kann die Beeren mit dem zarten Aroma aber wirklich nur vom Strauch essen, ihr Geschmack verliert sich binnen kürzester Zeit nach dem Pflücken. Wahrscheinlich war so eine geringe Verarbeitungsmöglichkeit in den 60er Jahren nicht gefragt, daher die abfällige Kritik des Gartenpapstes. Dabei ist es genau das, was ich an meinen Beerensträuchern so schätze: Sie liefern überschaubare Haushaltsmengen, die man tagtäglich aufessen kann, ohne dass es einem schon graust. Wenn wir Marmelade einkochen wollen, müssen wir erst mehrere Ernten im Tiefkühler sammeln, auf einmal geht da nichts.
Ein erster Versuch mit Stachelbeeren scheiterte jämmerlich am Amerikanischen Stachelbeermehltau. Stachelbeeren blieben für mich viele Jahre lang tabu, bis mein Mann mich überredete, dieses Obst wieder anzubauen. Auch er hat so seine Kindheitserinnerungen und da gehören die Stachelbeeren aus dem Garten seiner Großmutter halt dazu. Mittlerweile gibt es resistente Sorten und ich habe den Versuch Gott sei Dank gewagt. Die Ernte ist nicht überwältigend, aber ein paar Tage lang schwelgen wir im Stachelbeerglück. Das gleichzeitig gepflanzte Hochstämmchen von schwarzen Ribiseln lebte nicht lange. Ich fürchte fast, ich habe den Flachwurzler zu wenig gegossen, oder Hochstämmchen sind von Natur aus anfälliger. Im Herbst möchte ich noch einmal einen „normalen“ Strauch pflanzen. Ich bin bislang die einzige in der Familie, die den Cassis-Geschmack schätzt, auch die Jostabeere hinterm Haus muss ich mit niemandem teilen. Dafür bekomme ich von den Brombeeren wenig bis gar nichts, denn die tägliche Handvoll macht meinen Mann so selig, dass ich sie ihm überlasse.
Tja, und jetzt liege ich auf der Lauer, wann es im Gartencenter endlich – Erdbeerpflanzen gibt. Nach erneuten Fehlschlägen mit Radieschen, Amaranth und Neuseeländer Spinat habe ich die Nase voll vom Gemüsebeet und werde dort Erdbeeren mit ein paar Reihen Mangold und Knoblauch dazwischen anbauen. Noch einmal Kartoffeln am selben Fleck geht ja nicht, die müssen nächstes Jahr in einen Topf oder Sack ausweichen. Also doch noch Erdbeeren, wer hätte das gedacht? Na ja, irgendwann muss man ein Kindheitstrauma auch einmal überwinden, oder?
Eure Flora