Kalt oder nicht kalt
– das ist hier die Frage.
In meiner Lieblingsgartenzeitschrift fand ich kürzlich einen ausführlichen Beitrag über Kaltkeimer. Die meisten Samen streut man im Frühjahr aus. Dass aber manche Samen einen Kältereiz benötigen, um überhaupt in die Gänge zu kommen, wusste ich bereits. Manches muss man halt im Herbst aussäen und im Frühjahr kommt es dann. Oder, wie meist in meinem Fall, auch nicht (siehe „Ich und 1000 Samen„). Nun war es an der Zeit, mich näher damit zu beschäftigen.
Staunend las ich, dass Kaltkeimer nicht gleich Kaltkeimer ist. Manchen reicht ein kurzes Fröstchen, andere brauchen es wochenlang kalt. Abhängig ist das vom Naturstandort, also wo die Pflanze herkommt. Dass Alpenpflanzen lange, eisige Winter in den Genen haben, leuchtet ein. Dass ich ihnen das bei mir zu Hause nicht bieten kann, liegt ebenso auf der Hand. Die Lösung heißt Stratifikation, das ist das künstliche Herbeiführen von idealen Keimbedingungen. Nach einer kurzen warmen Quellphase stellt man die Anzuchtschale in den Kühlschrank und suggeriert damit den Pflanzen den ersehnten Winter. Wenn ich mir vorstelle, was mein Mann dazu sagt, würde ich ihm den Eiskasten mit Erdtöpfchen vollräumen… Schließlich war er 40 Jahre lang in der Lebensmittelkontrolle tätig.
Manche Samen treiben es noch ärger. Sie benötigen nicht nur eine kalte, sondern davor auch eine längere warme Phase und müssen daher gleich nach der Blüte ausgesät werden, damit sie Sommer und Winter haben (z.B. der Teufelsabbiss, von dem ich hoffe, dass er sich durch Selbstaussat ausbreitet). Ist die Kältephase zu kurz oder wird sie durch ein paar mildere Tage unterbrochen (bei unseren Wintern an der Tagesordnung), ist es nichts mit der Keimung in diesem Jahr. Hier wäre die künstliche Stratifikation um ein Eckhaus komplizierter. Nach drei Monaten Heizung drei Monate Kühlschrank, alles nach genauem Zeitplan, Plastikhaube wegen der Feuchtigkeit, aber nicht vergessen, täglich zu lüften, damit nichts schimmelt… Und trotzdem dauert es bei manchen Jahre (!), bis sich was tut. Aufpassen muss man zusätzlich, ob es sich um Licht- oder Dunkelkeimer handelt, ob ein Hauch Erde genügt oder ein richtiges Eingraben nötig ist. Als ich bei diesem Absatz angelangt war, beschloss ich, von derlei Samen ein für allemal die Finger zu lassen. Meine Lösung heißt: Ab in die Gärtnerei und fertige Pflänzchen kaufen.
Trotzdem geht mir der Artikel nicht aus dem Kopf. Dass Samen geduldig in der Erde schlummern, bis die Bedingungen passen, ist schon irgendwie faszinierend. Da fiel mir der Feldrittersporn ein. Als ich ihn im Frühjahr 2024 ausgesät habe, kam EIN mickriges Pflänzchen und ich schimpfte auf die Samengärtnerei, die mir ein altes Klumpert angedreht hatte. Heuer stand da unerwartet ein ganzer Fleck voll prächtigem Rittersporn und ich konnte mir nicht erklären, wo der hergekommen ist. Also googelte ich und tatsächlich – der Feldrittersporn ist ein Kaltkeimer! Dann war es ihm im Frühjahr 2024 längst zu warm zum Keimen, während er nach dem Winter 24/25 plötzlich aufwachte und wochenlang den Garten schmückte. Aha! Deswegen dauerte es auch so lange, bis sich in der Blumenwiese die ausgesäten Königskerzen und Skabiosen zeigten, alles mit einem Jahr Verzögerung. Dann besteht ja noch Hoffnung, dass der graublaue Mohn, den ich letztes Frühjahr ohne jedes sichtbare Ergebnis verstreut habe, heuer auftaucht.
Puh, wieder was gelernt. Obwohl mich in meinem Bekanntenkreis alle für eine Pflanzenexpertin halten, komme ich ständig drauf, was ich alles von den Vorgängen in der Natur (noch) nicht verstanden habe. Deswegen lese ich jedes Gartenbuch, das mir in die Finger kommt. Vieles weiß ich wirklich schon und blättere weiter. Bis da ein Zusammenhang steht, der mir bisher nicht klar war, eine Erklärung, ein Hinweis, der mir eine neue Sichtweise beschert. Irgendwas nimmt man immer mit. Oder ich gehe zu Vorträgen oder plaudere mit Profis (siehe „Gärtner stalken„). Jahrelang habe ich mit meinen nichtblühenden Pfingstrosen gehadert, bis ich endlich gelesen habe, dass man sie nicht zu tief pflanzen darf. Seither habe ich bereits mehrmals mit Erfolg die Stauden umgesetzt. Meine Rosen habe ich heuer erstmals nicht angehäufelt, seit ein Gärtner in einem Podcast einleuchtend erklärt hat, dass das eine historische Praxis ist, die bei unseren derzeitigen Wintern und den modernen Sorten völlig überholt ist. Nächstes Jahr bekommen meine Minzen frische Erde, seit ich in demselben Podcast gehört habe, dass sie ihre eigenen Ausscheidungen nicht mögen (deswegen wandern sie im Beet auch ständig weiter).
Es ist ein weites Feld. Aber zumindest bei den Kaltkeimern bin ich jetzt ein kleines Stückchen gescheiter.
Eure Flora