Das große Buffet
Die zwei Reihen Sonnenblumen, die ich auf Wunsch meiner Tochter auf den kahlen Streifen vor der stark zurückgenommenen Eibenhecke gepflanzt habe, haben mich mehrfach überrascht. Zunächst einmal habe ich den Aufwand, 39 Sonnenblumen vorzuziehen, damit sie nicht gleich während des Keimens zu Schneckenfutter werden, zu vereinzeln und auszupflanzen, gewaltig unterschätzt. Als sich dann noch herausstellte, dass ich jedes einzelne der dünnen Pflänzchen aufbinden musste, schwor ich mir: Nie wieder Sonnenblumen!
Allgemein gelten Sonnenblumen als pflegeleicht. Da sie laut allen Büchern, Zeitschriften und dem Internet Tiefwurzler sind, muss man sie auch so gut wie nicht gießen, selbst größere Trockenheit überstehen sie mühelos. Davon hatten meine Diven leider nichts gehört und forderten täglich ihre Extraportion Wasser. Ließ ich die morgendliche Überschwemmung einmal weg, standen sie spätestens zu Mittag vorwurfsvoll mit schlaffen Blättern und hängenden Köpfen da, ein paar knickten einfach um. Und noch einmal schwor ich mir: Nie wieder Sonnenblumen!
Endlich hatte ich die maßlosen Säufer auf die versprochenen zwei Meter hochgepäppelt. Ich hatte mehrtriebige Sorten gewählt, die zwar kleinere Köpfe haben, aber dafür umso mehr. Ein Blütenkorb nach dem anderen öffnete sich und die fröhlichen Sonnen überstrahlten meinen ganzen Garten. Meine Tochter war entzückt, genau so hatte sie sich das vorgestellt. Und auch ich musste zugeben, dass die gelbe Pracht einfach gute Laune verbreitete. Sind die Blütenblätter einmal abgefallen, werden Sonnenblumen leider schnell schäbig. Ein paar bedeckten sich mit Mehltau, andere bekamen Rostflecken, die Blätter werden welk und dürr und die Pflanzen verkahlen von unten her. Solange die Kerne nicht ausgereift waren, wollte ich sie aber nicht entfernen, ein paar Vögel sollten noch ihre Freude damit haben. Ein paar?!
Die ersten Gäste waren ein Distelfinkpärchen, das mit seinem Nachwuchs kam. Während die Jungen in den Eiben randalierten, turnten die Eltern auf den Sonnenblumen und holten die noch weichen Kerne für die Schreihälse. Es sah sehr gekonnt und akrobatisch aus. Nach einer Woche blieben die Finken aus, entweder waren ihnen die Kerne zu reif geworden oder die hungrige Brut war ausgeflogen.
Nun übernahm eine Spatzenbande das Revier. Wenn die ganze Horde einfliegt, gerät die Eibenhecke in Bewegung, vom Radau ganz zu schweigen. So geschickt wie die Distelfinke stellen sie sich bei weitem nicht an, statt anmutig auf den zarten Köpfen zu schaukeln, plumpsen sie mit einem Sprung aus den Eiben auf einen Samenkorb. Der gibt unter ihrem Gewicht natürlich nach und zeigt nach unten, während der Spatz ein bisschen ratlos oben sitzt. Um die leckeren Kerne zu erwischen muss er sich zum Rand vorarbeiten und kopfüber in die Samen pecken, was aber den Samenkorb noch weiter absenkt und zum Schwingen bringt. Ziemlich oft bekommt einer das Übergewicht und kann sich nicht mehr halten, der emporschnellende Korb bringt dann gleich noch in bester Slapstickmanier ein paar Kollegen aus dem Gleichgewicht. Sucht sich ein Spatz einen gar zu dünnen Stängel aus, bricht der ab und der verdatterte Spatz findet sich mitsamt seiner Beute auf dem Boden wieder. Es gibt auch ein paar Schlauberger, die erst gar keine luftigen Manöver starten, sondern unten auf der Erde warten, was so abfällt. Diese Woche sah ich einem zu, der es sich in einer besonders dicht gewachsenen Sonnenblume gemütlich gemacht hatte. Praktischerweise befand sich genau über seinem Sitzplatz der nächste Futternapf und er konnte sich bequem von unten bedienen. Als er kurz zum Seerosenteich flog, um die Kerne runterzuspülen, war der gute Platz bei seiner Rückkehr besetzt und er musste sich laut schimpfend wie die anderen auf den wackeligen Stängeln abplagen.
Es ist beste Unterhaltung, der lustigen Schar zuzuschauen. Freilich könnte ich die Sonnenblumen auch ausgraben und den Spatzen hinlegen, aber so macht es viel mehr Spaß. Bei ihrem Wüten verteilen sie wahrscheinlich hunderte Samen in meinem Garten und ich werde mich nächstes Jahr vor lauter Sonnenblumen, die irgendwo aufgehen, gar nicht retten können. Ich habe schon Ausschau gehalten nach ein paar Plätzchen, wohin ich sie umsetzen kann. Denn eines habe ich mir geschworen: Nie wieder ein Garten ohne Sonnenblumen!
Eure Flora