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Herbstlaub

„Jö, ist der aber schön!“ rief meine Tochter begeistert, als sie mich vor ein paar Tagen in den Garten begleitete. Sie meinte meinen Marillenbaum, der im weiten Umkreis eine goldgelbe Decke auf der Wiese ausgebreitet hat. Die Blätter, die noch am Baum hängen, sind grün, verfärben sich aber laufend und segeln dann zu Boden. Es ist ein großartiges Farbenspiel, das sich über Wochen hinzieht, der grüne Baum inmitten des gelben Kreises, bis der erste Nachtfrost die Sache beendet und alle restlichen Blätter abfallen lässt. Bis dahin reche ich nur das Gröbste zusammen und fülle meinen Kompostkorb damit. Erst wenn alles herunten ist, putze ich die Wiese gründlich und verteile das, was nicht mehr in den Kompost passt, unter den Sträuchern oder mummle damit meine kälteempfindlichen Pflanzen ein. Das Laub ist ein Segen für mich, denn so gibt es jedes Jahr gratis Dünger und im Winter kuschelige Mäntel und warme Schlupfwinkel für Flora und Fauna.

„Jessas, des Laub!“ jammern meine betagten Nachbarn, wenn sie sich damit abplagen, ihren Garten komplett laubfrei (und damit meine ich wirklich völlig nackte Erde) zu bekommen. Sie haben zwar ohnehin hauptsächlich Nadelgehölze in ihrem Garten gepflanzt, Thujen, Wacholder, Eiben und eine riesige Blaufichte, die paar Berberitzen und Spiersträucher von den Vorgängern beschäftigen sie aber den ganzen Herbst über. Wegschaffen müssen sie die gefüllten Säcke auch noch, damit alles ordentlich ist. Ich ernte so manchen bösen Blick, wenn sich ein Haselnussblatt auf ihren Wiesenstreifen vor dem Garten verirrt. Mein Angebot, das Haselnusslaub liegenzulassen, bis das letzte Blatt gefallen ist, ich entsorge es dann auf einmal, auch von ihrer Seite, nehmen sie nicht an. Wie schaut denn das aus?! Lieber jagen sie täglich jedem einzelnen Blatt hinterher. Für sie ist das Laub ein Fluch, eine der biblischen Plagen, die es zu ertragen gilt, wenn man einen Garten hat.

Dabei bin ich heuer auch wie der Geier auf das Haselnusslaub. Schon im Sommer habe ich die Reste der alten Blätter, die ich jahrelang liegen gelassen hatte, auf das Penibelste hervorgekehrt und entsorgt. Grund ist nicht ein plötzlich ausgebrochener Ordnungssinn, sondern der heftige Mehltau, der sich auf meinen Haselnüssen ausgebreitet hat (siehe Gartentagebuch 25. Juni 2022). Auch der Beinwell am Fuße der Sträucher ist bereits befallen, ich musste ihn schon zweimal zurückschneiden. Mir tun zwar die vielen Insekten und Wirbellosen leid, die auf einen Schlag ihr Winterquartier verlieren (und davon gibt es in unserer Anlage ohnehin viel zu wenige), aber es ist die einzige erfolgversprechende Maßnahme gegen den Pilz, der auf dem Laub überwintert.

Wie alles in der Natur erfüllt das Herbstlaub komplexe Funktionen. Es verwandelt sich in neue fruchtbare Erde, während es Nahrung und Wohnstatt für zahllose Wesen bietet. Schön oder lästig, schützend oder gefährlich – diese Bewertung nehmen nur wir Menschen vor und reagieren darauf, höchst unterschiedlich, wie ich geschildert habe. Der Natur sind unsere Beweggründe mit Sicherheit völlig egal, sie wird weiter tun, was sie seit Millionen von Jahren tut: Im Frühling treiben Blätter aus, die Pflanzen blühen, tragen Früchte und Samen und im Herbst stirbt alles wieder ab und fällt zu Boden. Bei aller Sorge um Klimawandel, Artensterben und die Zukunft unseres Planeten ein beruhigender Gedanke.

Eure Flora

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