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Der Feuerdorn

Tatsächlich sind es zwei, einer mit roten und einer mit gelben Beeren. Sie beherrschen eine Gartenecke hinter dem Haus, davor zum Schutz ein Spalier von Fingersträuchern. Und den Schutz braucht man wirklich, haben die Sträucher doch bis zu 8 cm lange Dornen. Kein Wunder, dass in dieser Ecke Efeu und wilde Waldrebe fröhlich vor sich hin wuchern, denn freiwillig komme ich dem Feuerdorn nicht in die Nähe.

Allerdings, alle paar Jahre zwingt mich sein ungestümes Wachstum dazu. Wenn der Nachbar hinter meinem Garten anklingen lässt, dass er keine Sonne mehr in seinem Garten hat, wird es Zeit, den Feuerdorn zu schneiden. Damit ich möglichst für mehrere Jahre Ruhe habe, wird es dann ein Radikalschnitt von vier Metern auf Augenhöhe. Begleitet wird die Aktion vom lärmenden Geschrei einer Spatzenhorde, die in dem Feuerdorn ihren Schlafplatz hat. Natürlich habe ich ein schlechtes Gewissen, ich würde mir auch nicht gern mein Zuhause wegnehmen lassen. Aber da müssen sie leider durch.

Heute war es wieder einmal soweit: Ich habe den Feuerdorn geschnitten. Besser gesagt, ich habe angefangen, denn mit einem Vormittag ist es keinesfalls getan. Wegen der wehrhaften Dornen kann ich mich nur vorsichtig Ästchen für Ästchen durch das Gestrüpp arbeiten, immer auf der Hut, wo ich hingreife. Die Zweige muss ich zu allem Überfluss auch noch entasten und klein schnippeln, denn durch den sparrigen Wuchs wäre sonst jedes Gefäß zum Wegbringen ständig voll. Ein Gartensack kommt gar nicht in Frage, der wäre im Nu zerfetzt. Heuer bin ich auf die Idee gekommen, meine Regentonnen zu befüllen, derzeit brauche ich sie ja noch nicht. Gute Idee, aber das Schnippeln bleibt mir nicht erspart.

Kleine Verletzungen bleiben nicht aus. Vor Jahren drehte sich ein dicker Stamm unvorhergesehen in meine Richtung und landete auf meinem Kopf. Als die Stelle nach zwei Wochen immer noch ziemlich weh tat, kratzte ich an der Kruste herum und zog zum Entsetzen meiner Kollegin einen zwei Zentimeter langen Dorn aus meiner Schädeldecke. Die nächste Anschaffung war eine Astschere mit Teleskopstange.

Mein Sohn, sonst zwar kein begeisterter, aber geduldiger Helfer bei schwereren Gartenarbeiten, winkt bei dem Wort „Feuerdorn“ nur milde lächelnd ab. Den kennt er schon. Wenn er dann noch grinsend „netter Versuch, Mutter“ hinzufügt, bereue ich meine liberale Erziehung. Der Vorschlag meines Mannes, den Gärtner zu engagieren, ist mir zu gefährlich: Kein Gärtner würde so behutsam zu Werke gehen wie ich und die Folge davon wären zersplitterte Stücke und Dornen im ganzen Umkreis. Da ich den ganzen Sommer über barfuß unterwegs bin… Zur Motivation für die einsame grausliche Arbeit habe ich mir schon vor Jahren einen psychologischen Trick ausgedacht: Ich verbitte mir jede andere Gartenarbeit (die ich im Frühjahr kaum erwarten kann), solange der Feuerdorn nicht geschnitten ist. Jedes Mal schwöre ich mir, dass ich das zum letzten Mal mache, wenn er noch einmal zu groß wird, wird er ausgegraben.

Im Jahr darauf blüht er wieder. Der Strauch ist eine einzige Wolke aus weißen Blütendolden und summenden Bienen. Die Spatzen beziehen in den hochstrebenden Ästen erneut ihr Schlafquartier und fühlen sich sicher und pudelwohl. Wenn sich die Blumen im Herbst zurückziehen, protzt der Feuerdorn mit Unmengen von Beeren und bringt noch einmal kräftige Farben in den Garten. Und er wird wieder nicht ausgegraben…

Eure Flora

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