Die g'scheiten Blumen
Meine liebe Freundin Silva versorgt mich nicht nur mit schönen Pflanzenfotos und Samen für den Garten, sondern auch mit Büchern. Meist dreht sich deren Inhalt um den Garten, aber nicht immer. Das letzte Mal hat sie mir einen schmalen Band von Maurice Maeterlinck mit dem interessanten Titel „Die Intelligenz der Blumen“ mitgebracht. Der belgische Schriftsteller war zu seiner Zeit (1862 – 1949) ein berühmter und gefeierter Autor, 1911 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Neben dem Schreiben züchtete Maeterlinck Bienen und widmete sich seinem Garten und seinen botanischen Experimenten.
In dem Buch vertritt Maeterlinck die philosophische Auffassung, dass Pflanzen über dieselbe Intelligenz wie wir verfügen, dass sie ebenso bewusst handeln und ihren Verstand einsetzen. Ja, etwas schräg und befremdend im ersten Moment, doch Maeterlinck begründet seine Ansicht mit zahlreichen Beispielen. Minutiös beschreibt er die verschiedenen Tricks und Kniffe, mit denen Blumen Insekten dazu bringen, sie zu bestäuben und somit den Fortbestand der Art zu sichern. Er vergleicht die über lange Zeit entwickelten Mechanismen der Pflanzen (Farbe, Duft, Bauart der Blüten, Nektar etc.) mit den menschlichen Erfindungen. Diese Entdeckungen verliefen ebenfalls nicht geradlinig, Fehleinschätzungen und Irrtümer pflastern ihren Weg und die Wissenschaft ist noch längst nicht an ihrem Ende angelangt. Der Nektar etwa, den Blumen für die Insekten bereit halten, sieht er als ganz bewusste Planung, denn für die Pflanzen selbst ist die Produktion völlig unnütz. Was Darwin Evolution und natürliche Auslese, die Religion göttliche Schöpfung und die landläufige Meinung Mutter Natur nennt, sieht Maeterlinck als Verstand und Willen der Pflanzen selbst.
Warum nicht? Staunend lesen wir von den unterirdischen Botschaften der Bäume, wie sie Warnungen vor Schädlingen verschicken oder Stoffe austauschen. Vor zwanzig Jahren hätte das niemand für möglich gehalten und als Spinnerei abgetan, heute hat es die Wissenschaft bewiesen. Wenn wir den Pflanzen die Fähigkeit zu kommunizieren zugestehen, heißt das nicht, dass wir ihren Verstand anerkennen? Und mit dem Verstand die Möglichkeit, das eigene Handeln zu beeinflussen und nach freiem Willen zu entscheiden?
Ich finde den Gedanken, in meinem Garten von intelligenten Wesen umgeben zu sein, wunderschön und bei genauerer Betrachtung bin ich gar nicht so weit von dieser Einstellung entfernt. Schließlich spreche ich mit meinen Pflanzen, rede ihnen gut zu oder schimpfe, wenn sie mich ärgern. Eigenschaften wie zuverlässig, treu, störrisch, dankbar, lästig, freundlich, traurig, ungestüm oder faul ordne ich ihnen ohne weiteres Nachdenken zu. Geradezu hinterhältig kommt mir so manches Unkraut vor, etwa die Quecke mit ihren meterlangen Wurzeln, von denen jedes Fitzelchen noch binnen wenigen Tagen wieder austreibt. Wenn sich das Immergrün schon wieder in meine Stauden hineingeschlichen hat, scheint es mich mit seinen eilig aufgegangenen Blüten auszulachen, weiß es doch, dass ich nichts Blühendes zerstören kann. Und mit welcher Liebe lehne ich mich an den Stamm meines alten Herrn und spüre die knorrige Kraft in seiner rissigen Rinde. Mein Motto „Pflanzen sind Freunde“ sagt ja schon zur Genüge aus, dass ich sie als lebendige Geschöpfe betrachte. Umso besser, wenn sie noch ein bisschen ebenbürtiger sind.
Und ich bin gerne eine schrullige Alte.
Eure Flora