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Ansichtssache

„Gell, du lasst auch alles wachsen, wie es will?“, fragte mich unlängst eine vorübergehende Anlagenbewohnerin. „Nein,“ stammelte ich entgeistert, „wie kommst du denn auf DIE Idee?“ Sie schluckte die Antwort runter, als sie meine Reaktion bemerkte, aber sie stand ihr ins Gesicht geschrieben. Weil es so ausschaut.

Aha. So nehmen die Leute also meinen Garten wahr. Als ungeordnete Wildnis, als „Gstettn“, wo alles durcheinander wuchern darf. Im ersten Moment wußte ich nicht, ob ich lachen oder beleidigt sein sollte, schließlich gibt es kaum jemanden in der Anlage, der mehr Zeit in Gartengestaltung und dazugehöriger Gartenarbeit steckt als ich. Meine Beete sind sorgfältig angelegt und keineswegs sich selbst überlassen. Aber wenn sich Jungfer im Grünen und Borretsch durch den Bauerngarten ausbreiten, Akeleien und Herbstastern an den seltsamsten Plätzen aufgehen und eine wilde Heckenrose partout eine Lücke zu den Nachbarn füllen will, heiße ich sie willkommen. Meine Rasenkanten sind nicht perfekt, doch einmal im Jahr steche ich sie gerade. Vom üblichen Herbstgroßputz halte ich nichts, dafür sieht mein Garten im Winter nicht wie eine kahle Einöde aus. Holzstapel, Komposthaufen und Steinhügel sind kein Gerümpel, das ich zu faul war zu entsorgen, sondern Anzeichen für naturnahes Gärtnern. Ich war also doch beleidigt.

Ich ging zu meinem Mann und fragte ihn um seine Meinung. „Die spinnt doch!“, war sein Kommentar, „du hast den schönsten Garten weit und breit.“ Nun, die Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters, und ich würde die Aussage nicht so ohne weiteres unterschreiben. Für MICH ist es der schönste Garten, weil viel blüht und viele Tiere angelockt werden, weil eben nicht alles geometrisch geplant und mit dem Rasiermesser getrimmt wird, weil ich zusehen kann, wie die Natur funktioniert. Mit Selbstaussaat und Verrottung, mit Schädlingen und Nützlingen, mit Pflanzen, die eine sehr enge Vorstellung von Lebensbedingungen haben, und anderen, die einfach durch nichts umzubringen sind. Ich finde das spannender als perfekte grüne Wände, einen einfärbigen Bodenbelag und stylische Hochbeete mit vier exakt ausgerichteten Salatköpfen.

In diesem Zusammenhang fällt mir immer einer der berühmtesten Songs von Sting ein, „I’m an Englishman in New York“, wo er sich selbst mit seinen Eigenheiten und Ansichten als „legal alien“ bezeichnet. Ersetzt man den Titel durch die Worte „Naturgärtnerin in einer Wiener Kleingartenanlage“, stimmt der Text fast wortgenau, bis hin zum Resümee „Be yourself, no matter what they say“ (Sei du selbst, egal was sie sagen). Manchmal fühle ich mich nicht nur wie eine Fremde (alien), sondern tatsächlich wie von einem anderen Stern (Alien), wenn ich zuhöre, wie sich manche Leute (Gott sei Dank gibt es auch Andersdenkende, aber sie sind leider in der Minderheit) über die besten Rasenroboter, Unkrautvernichter oder Dünger unterhalten. Schön sind neue Pools mit ausgeklügelter Technik, protzige Zäune (blickdicht und vornehmlich in elegantem Grau oder Schwarz) und sauteure Wegplatten von Gott weiß woher, die alle zwei Monate gekärchert werden müssen, damit sie weiß bleiben. Von Pflanzen ist kaum die Rede und wenn, dann nur, wie sie am besten in Form zu halten sind und wieviel Dreck sie machen. Begriffe wie „torffrei“, „Lichtverschmutzung“ oder „Totholz“ kommen in ihrem Wortschatz nicht vor. Der Pächter, dem wir das Schottern (siehe Beitrag „Schotter„) seiner Außenanlage verboten haben, hat das Problem auf seine Weise gelöst: Er hat Kunstrasen aufgelegt. Ich hoffe, der Vereinsvorstand findet eine Handhabe, dagegen vorzugehen, sonst werden andere seinem Beispiel folgen.

Bei der letzten Gartenversammlung erzählte uns die Fachberaterin von der Möglichkeit, die „Natur im Garten“-Plakette, ursprünglich eine Aktion aus Niederösterreich, auch in Wien erhalten zu können. Die Kommentare waren teilweise höhnisch: „Za wos (wofür) brauch i des?“, „Wos moch i damit?“, so in die Richtung halt. Ich glaube, ich werde nächstes Jahr die 30 Euro investieren und die Plakette für mein Gartentürl beantragen. Als Statement. Sollen sie mich doch alle für einen seltsamen Ökofreak halten. Be yourself, no matter what they say.

Eure Flora

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Silva

    …und jetzt erst recht !

    S.

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