Schotter
Wir hatten kürzlich die jährliche Gartenversammlung und ein Pächter stellte den Antrag, statt der Grasstreifen, die entlang der Wege die Gärten umgeben, das Schottern dieser Fläche zu erlauben. Die Argumente für den Schotter waren die Unterdrückung des Unkrauts, das bessere Abfließen des Wassers bei Starkregen, das einheitliche Aussehen der Anlage und die Ästhetik. Wie es zu erwarten war, wurde die Diskussion darüber ziemlich emotionell geführt, und daran war ich nicht unschuldig. Nachdem der Antrag verlesen worden war, meldete ich mich als Erste zu Wort und zerpflückte die Argumente, so gut ich konnte.
Das Unkraut kommt nicht von unten durch, sondern die Samen werden von oben eingebracht, sei es durch Wind, Ameisen etc. Jeder Grashalm, der zwischen die Steine fällt, wird zu Humus und schon feiern Winde, Quecke und Co. fröhliche Urständ. Unter dem Schotter wird in der Regel Unkrautvlies verlegt (was aber auf Dauer eh nichts nützt), welches anfangs wasserdurchlässig ist, aber bald von Steinstaub und Erde so zugepappt wird, dass die Fläche praktisch versiegelt ist. Soviel zum besseren Wasserabfluss. Wie die Anlage einheitlich aussehen soll, wenn jeder Gras oder Steine nach persönlichem Geschmack aussuchen kann, ist keinesfalls schlüssig, und zur Ästhetik von Schotter wurde ich polemisch und wies darauf hin, dass wir in einer GARTENanlage leben und nicht in einem Steinbruch. Als letztes Gegenargument empfahl ich dem Antragsteller, probeweise ein paar Steine in die Sonne zu legen, um zu sehen, wie sehr sich diese erhitzen und wie lange sie die Wärme abgeben. In Zeiten, in denen die Stadt Wien überall versucht, große versiegelte Plätze aufzureißen und Bäume zu pflanzen, um der Hitze in der Stadt entgegenzuwirken, ist allein der Gedanke an zig Quadratmeter Schotterflächen absurd. Gott sei Dank waren viele Vereinsmitglieder*innen derselben Meinung und der Antrag wurde mit 18 zu 55 Stimmen abgelehnt. Noch. Über denselben Antrag haben wir in den letzten Jahren bereits dreimal abgestimmt und die Schotterwütigen werden nicht aufgeben.
Ich bin normalerweise nicht als Messias unterwegs und bemühe mich um eine tolerante Haltung gegenüber Andersdenkenden. Dass nicht alle in ihrem Garten 1000 Pflanzen haben wollen oder können, verstehe ich. Was ich nicht verstehe, ist der Wunsch, im Grünen zu wohnen und anschließend dieses Grün zu beseitigen. Tatsächlich gibt es in unserer Anlage bereits zwei Gärten, in denen gut die Hälfte der Fläche geschottert ist. Gärten, die lediglich aus einer Thujen- oder Kirschlorbeerhecke rund um eine Rasenfläche bestehen, ohne Bäume, ohne Sträucher, ohne Stauden, ohne Beete, gibt es schon mehrere. Kunstrasen habe ich noch keinen gesichtet, aber das ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit. Wer will denn in so einer Einöde leben, das kann den Leuten doch nicht wirklich gefallen? Wenn ich so wenig Liebe zu Natur und Pflanzen habe, warum will ich dann einen Garten?
Vielleicht bin ich ein Freak, aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass ich eine Verantwortung übernehme, wenn mir ein Stück dieses Planeten gehört. Eine Verantwortung gegenüber allen Tieren und Pflanzen, denen ich mit meinem Tun Lebensraum wegnehmen oder geben kann. Wenn ich einen Garten habe, muss ich ihn gestalten, sei es geradlinig modern oder märchenhaft verwildert, sei es ordentlich aufgeräumt oder natürlich verwachsen, das entscheiden der persönliche Geschmack, das Budget und die vorhandene Zeit. Wichtig ist nur, dass es überhaupt ein Garten ist, was man von einer Schotterfläche nicht sagen kann. Wenn ich mir so manchen Grätzlgarten in der Stadt ansehe, wo Leute ohne Garten auf einer winzigen Fläche gemeinsam ein bisschen Gemüse anbauen, und diesen Enthusiasmus mit den lieblosen grünen Wüsten vergleiche, die rund um mich entstehen, macht es mich traurig, dass die Falschen zu einem Garten gekommen sind. Ich kann nur hoffen, dass die Entwicklung nicht von Dauer ist.
Ihr merkt schon, dieses Thema regt mich wirklich auf, und ich muss mich sehr zusammenreißen, um nicht grob zu werden. Das würde ja auch nicht helfen. Mir bleibt nichts Anderes übrig, als immer weiter meinen Garten zu gestalten und zu pflanzen. Vielleicht kann ich ja irgendwen inspirieren.
Eure Flora