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Haselnüsse

Die Haselnüsse stammen noch von meiner Großmutter. Damals waren es vier Büsche und vis-à-vis beim Nachbarn standen ebenfalls vier Sträucher. Wenn sich im Sommer die Äste ausbreiteten, ging man auf dem Weg dazwischen wie in einem Tunnel. Ich fand das als Kind sehr hübsch.

Überhaupt mochte ich die Haselnüsse. Die Stöcke etwa waren großartig. Mein Vater brachte mir bei, die Rinde spiralförmig mit dem Taschenmesser einzuschneiden und abzuschälen. Im tiefen Schatten der Haselnüsse kauerte ich stundenlang auf der Stiege zur Rumpelkammer und schnitzte Muster in die Stöcke (die Tür zur Rumpelkammer ließ ich später zumauern und richtete den Raum zusammen mit dem WC als Badezimmer ein). Oder ich las dort wieder und wieder meine Bücher. Ging jemand vorbei, rief ich laut „Grüß Gott!“ und freute mich diebisch, wenn sich die Leute die Köpfe verrenkten, weil sie mich hinter dem Gebüsch nicht sehen konnten.

Im Herbst klopften wir die Nüsse von den Büschen und breiteten sie auf dem Dachboden zum Trocknen aus. Es war immer ein ganzer Korb voll und reichte für die gesamte Weihnachtsbäckerei. (Allerdings passte meine Mutter auch den ganzen Sommer über auf, ob sich ein Eichhörnchen blicken ließ, und verscheuchte die herzigen Nussdiebe zu meinem Leidwesen.) Nach der Ernte wurden die Sträucher geschnitten, eine ungeliebte Arbeit, denn mittlerweile war es November und feucht und kalt. Der Advent begann bei uns mit dem großen Nüsse knacken. Egal wie sehr mein Vater achtgab, egal wie oft meine Mutter staubsaugte, noch nach Weihnachten traten wir im Wohnzimmer auf Schalensplitter.

Um die Haselnüsse gab es andauernd Streit mit dem Verein, weil immer wieder behauptet wurde, Nüsse aller Art seien laut Kleingartenordnung untersagt. Ich glaube zwar, es waren nur Walnussbäume wegen ihrer tiefen Pfahlwurzeln verboten, aber in den 60er Jahren waren Obmann und Fachberater allmächtige Autoritäten und sie forderten meine Mutter in regelmäßigen Abständen auf, die Haselnüsse zu entfernen. Überhaupt waren die acht Büsche links und rechts des Weges nur deshalb da, weil unser Nachbar der erste Obmann der Anlage gewesen war und der hatte nichts von einem derartigen Verbot gewusst oder sich nicht darum gekümmert. Als er starb und seine Witwe den Garten verkaufte, hatten seine Nachfolger nichts Eiligeres zu tun als die Haselnüsse zu entfernen und stattdessen Thujen zu pflanzen. Angeblich hatten sie den Garten nur bekommen, weil sie sich dazu verpflichtet hatten. Meine Mutter kämpfte wie eine Löwin um ihre Haselnüsse. Schließlich rodete sie die beiden mittleren Büsche und stellte eine Gerätehütte auf. Ob der Hauptgrund dafür das Erfordernis einer Gerätehütte war oder damit der Verein endlich Ruhe gab, weiß ich nicht. Jedenfalls war der Machtkampf damit beendet.

Nüsse ernte ich keine mehr. Ich verjage keine Eichhörnchen, sondern freue mich, wenn ich eines sehe. Hin und wieder lassen sie mir großzügig eine Nuss zum Kosten. Oder sie haben sie übersehen. Immer wenn ich die Sträucher schneide, ich kann mich ohnehin nur alle paar Jahre dazu aufraffen, schwöre ich mir, dass ich sie demnächst ausgrabe. Es ist schon eine arge Viecherei, die langen Stangen einzukürzen, die morschen Stämme auszusägen, die dürren Ästchen auszubrechen, die Tonnen von Schnittgut zu entsorgen… Immer wenn ich mit dem Schnitt fertig bin, vergesse ich den Schwur wieder. Sie stammen doch noch von meiner Großmutter…

Eure Flora

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