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352 m²

Als mein Sohn acht Monate alt war, kaufte ich ihm einen Stapelturm. Freilich war er noch zu klein, um ihn aufbauen zu können, aber er hatte einen Heidenspaß damit, ihn umzuhauen. Meistens schaffte ich es gar nicht, den Turm zu Ende zu bauen. Dann zeigte ich ihm, dass er die Teile auch ineinanderstecken konnte, was ihn sehr faszinierte. Solange ich ihm die passenden Becher reichte, war alles gut, doch er wurde bald kreativ und begann herumzuprobieren. Dass ein größerer Becher nicht in einen kleineren hineinpasste, verstand er anfangs nicht und wurde zornig. So zornig, dass ich ihm das Spielzeug zeitweise wegnehmen musste, wenn sein frustriertes Gebrüll unerträglich wurde. Irgendwann akzeptierte sein kleines Gehirn die physikalischen Gesetze und die Becher waren lange Zeit sein liebster Zeitvertreib.

Leider ist die Mutter in 30 Jahren Gärtnern nicht so weit gekommen. Auf 352 m² hat nun einmal nur eine begrenzte Anzahl von Pflanzen Platz, trotzdem versuche ich Jahr für Jahr, diese einfache Tatsache zu umgehen. Auf der Suche nach Samen für die schwarze Kornblume und die essbare Chrysantheme (siehe Franks Salvias) habe ich den Onlineshop einer tollen Samengärtnerei entdeckt. Mein Wunschzettel umfasst bereits mehr als 20 Pflanzen und ich bin erst beim Buchstaben D. Natürlich ist das nur ein erster Entwurf von „haben wollen“, natürlich wird die Liste noch einmal überarbeitet, aber ich weiß jetzt schon, dass ich viel zu viel bestellen werde. Um das Unheil komplett zu machen, habe ich zum Abschied von meinem Büro einen Gutschein von meiner Lieblingsgärtnerei bekommen, den ich noch nicht einlösen konnte, weil ich auf der Gärtnereientour eh so viel eingekauft habe. Ich freu mich schon auf einen Besuch im Innviertel im Frühjahr, gustiere voller Ungeduld auf der Homepage, schließlich will ich das Präriebeet neu anlegen… Völlig sinnlos, mit einer Einkaufsliste aufzutauchen und zu denken, dass es dabei bleibt. Wahrscheinlich finde ich dies und das, was gar nicht ins Präriebeet passt und trotzdem mit nach Hause fährt. Was müssen diese Gärtner auch ständig neue Sorten züchten!

Oder die Sache mit dem Apfelbaum, dem ich seit den Tagen meines seligen Jamie nachtrauere. Mit vier Bäumen ist mein Garten völlig ausgelastet, Bowle hat den letzten verfügbaren Standort bekommen (siehe Gartentagebuch 3. Juni 2022). Trotzdem spaziere ich immer wieder über das Gelände auf der Suche nach einer zündenden Idee. Als wir im Sommer die Ribiseln und Stachelbeeren in der Gärtnerei aussuchten, liebäugelte ich mit einem Säulenapfelbaum. Einfach mitnehmen, ein Plätzchen findet sich dann schon, dachte ich. Mein Mann verhinderte in letzter Minute den unüberlegten Kauf. „Des is ka Bam, des is a Krüppel“, stellte er kategorisch fest. Bei näherem Besehen wurde auch mir klar, dass ich eine Stange mit Früchten nicht in meinem Garten haben will, ich will einen „richtigen“ Baum mit Stamm und Krone. Einen, wo die Omama sitzen würde („Die Omama im Apfelbaum“ war mein liebstes Kinderbuch.). Einen, der Platz braucht.

Trotz seiner geringen Größe habe ich unglaublich viel in meinem Garten untergebracht, die meisten Leute wundern sich, wenn sie die genaue Fläche hören. Durch die unterschiedlichen Bereiche wirkt der Garten um einiges größer und ich bin mit meinen Einfällen noch lange nicht am Ende. Die Wiese kann ruhig noch ein bisschen weniger werden, die Mäherei geht mir eh auf die Nerven. In der Arche Noah beklagte ich mich einmal, dass mein Garten mit 352 m² zu klein sei. Der Gärtner lachte mich nur aus. „Und wenn Sie 3.000 m² hätten, wär er Ihnen auch zu klein!“, meinte er und Christian lachte mit. Wahrscheinlich haben sie recht.

Das Seltsame ist, dass sich doch für alles ein Plätzchen findet, so unmöglich es auf den ersten Blick auch ausschaut. Egal, wie viele Pflanzen ich anschleppe, ich bringe sie nach anfänglicher Verzweiflung alle unter. Dann setze ich ein bisschen um, verkleinere hier und dort und schon wieder ist da eine Lücke, die dringend gefüllt werden muss. Dabei muss kaum je etwas weichen, um Platz zu schaffen. Der Garten scheint sich auszudehnen, je öfter ich mit den Töpfen durchgehe. Physik ist doch nicht alles.

Und irgendwann habe ich auch einen Apfelbaum.

Eure Flora

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