Jamie
Seit Jahren wollte ich einen Apfelbaum. Voriges Jahr hatte ich endlich lang genug überlegt, Säule, Spindel oder Halbstamm, welche Sorte und vor allem – wohin. Denn in meinem Garten stehen bereits drei Bäume, ein vierter will gut platziert sein.
Mit ziemlichem Bauchweh rückte ich im Jänner mit der Schere aus und kappte alle Ästchen bis auf vier „Leitäste“, genau so wie es mir der Berater bei der Arche Noah erklärt hatte. Bei jedem Besuch im Garten (ich schaute auch heuer wieder regelmäßig nach meiner Agapanthe, siehe „Mein größter Stolz„) fragte ich Jamie, ob alles in Ordnung wäre, und tastete vorsichtig die zarten Knospen ab. Jamie blühte prächtig und gab Anlass zu großen Hoffnungen. Ich erwartete zwar heuer noch keine Äpfel, aber vielleicht würde sich doch ein Bienchen verirren…
Als Jamie in voller Blüte stand, wurde es an drei aufeinanderfolgenden Nächten kalt. Eiskalt. Die strahlenden Blüten färbten sich braun und zogen sich zusammen. Pech, dachte ich mir, er ist ja noch so klein, nächstes Jahr hält er sowas bestimmt besser aus. Und ich wartete auf die Blätter. Und wartete… und wartete. Wahrscheinlich habe ich über der Warterei übersehen, dass der kleine Jamie noch nicht über ausreichende Wurzeln verfügt, um das extrem trockene Frühjahr zu überstehen. Außer ein paar kümmerliche Büschel an den Triebspitzen wollten sich keine Blätter einstellen. Mit Schlauch hinlegen und gießen mit Schachtelhalmbrühe hoffte ich, die Lage zu retten und tatsächlich schaute Jamie etwas freundlicher drein. Er hatte sogar zehn kleine Äpfelchen angesetzt. Dann begann es endlich zu regnen und seither gießt es fast täglich von oben. Über Wassermangel kann er sich wirklich nicht mehr beklagen.
Doch irgendwie passt ihm das nun auch wieder nicht. Dass seine Äpfelchen verschrumpelten, bis ich ihm die Entscheidung abnahm und sie alle abschnitt, stört mich ja nicht, aber dass seine wenigen Blätter jetzt auch noch anfangen, sich gelb zu färben und schlaff herunterhängen, macht aus dem stolzen Jamie einen Ritter von der traurigen Gestalt.
Ich weiß, was ich jetzt mache. Schluss mit der hätschelnden Sorge, ich schau ihn einfach nicht mehr an. Vielleicht reißt er sich dann zusammen!