• Beitrags-Autor:
  • Beitrags-Kommentare:0 Kommentare

Das schlechte Gewissen

In früherer Zeit waren verbrecherische Tätigkeiten Dieben, Betrügern und Mördern vorbehalten. Heute reicht es, in den Urlaub zu fliegen, einen Ausflug mit dem Auto zu unternehmen, die Heizung aufzudrehen oder, will man der Werbung glauben, beim nichtheimischen Internetanbieter einzukaufen. Vor allem meine Generation scheint schon immer alles falsch gemacht zu haben und für alles Übel auf diesem Planeten verantwortlich zu sein. Es erinnert mich an den Religionsunterricht meiner Kindheit, der mir hauptsächlich vor Augen führte, wie schlecht ich war, und der mir schreckliche Angst vor der ewigen Verdammnis einjagte. Schließlich war ich ein ganz normales Kind, das hin und wieder die Mama angeschwindelt oder das Abendgebet vergessen hat. Kaum war ich erwachsen, verließ ich die katholische Kirche, weil ich das dauernde „mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa“ nicht mehr hören wollte.

Jetzt, mit sechzig Jahren, holt es mich wieder ein. Alles, was mein Leben lang nicht nur normal und selbstverständlich, sondern Zeichen von Fortschritt und Wohlstand war, steht plötzlich am Pranger und siebengescheite Schulkinder kanzeln uns als Umweltsünder und Klimaverbrecher ab. Wenn wir die paar Wünsche, die wir uns für die Pension erträumt haben, verwirklichen, gefährden wir die Zukunft des Planeten und damit die unserer Kinder und Enkelkinder, hören wir täglich in den Medien. Also keine Kreuzfahrt im Indischen Ozean, keine Gartenreise nach England, kein spontaner Kurzurlaub nach Tirol, keine Ausflüge aus der Stadt mehr? Das kleine Auto, das endlich abbezahlt ist, verkaufen und nur mehr mit der Bahn erreichbare Ziele ansteuern? Unsere Welt, schlimmer noch, meine Welt, ist ins Wanken geraten. Die große Freiheit wird von Einschränkungen und Unbequemlichkeiten bedroht, die unsere Eltern stolz hinter sich gelassen haben.

Zu meinem großen Schrecken macht das schlechte Gewissen auch vor meinem Garten nicht Halt. Seit vielen Jahren schon versuche ich, natürlich zu gärtnern, Tieren in meinem kleinen Reich ein Zuhause zu geben und keine Ressourcen zu verschwenden. Ökologisch wertvolle Ideen und Erkenntnisse greife ich gerne auf, lege Steinhaufen und Totholzstapel an und hänge Nistkästen und Ohrwurmtöpfe auf. Bei der Pflanzenauswahl achte ich auf insektenfreundliche Stauden und Gehölze und freue mich, wenn es bei mir summt und brummt.

Und doch hat sich in letzter Zeit etwas verändert. Im Vordergrund stehen auf einmal nicht mehr die gestalterische Freiheit, die Vielfalt der Formen und Farben, der Spaß am hemmungslosen Herumprobieren und Spielen, sondern zunehmend die bange Frage „Tue ich genug?“

Geht's dir eh gut?

Bei 350 Quadratmetern ist die Frage eigentlich lächerlich, wenn anderswo großflächig der Regenwald abgeholzt wird und Insektizide versprüht werden. Manchmal wünsche ich mir, dass mir das alles wurscht sein könnte. So wie meinen Nachbarn, die fröhlich Blaukorn und Bittersalz verstreuen, jede Ameise und jede Blattlaus einnebeln und eine Pflanze sofort entfernen, sobald sich ein gelbes Blatt zeigt. Sie leben entschieden leichter als ich. Ich, ich muss ja immer über alles nachgrübeln und abwägen, muss achtsam leben und nachhaltig denken. Muss mir ernsthaft überlegen, ob ich für die Hummelköniginnen zeitige Frühjahrsblüher pflanzen soll, obwohl ich deren Blüte, wenn es wettermäßig blöd hergeht, nicht einmal sehen werde. (Das ist auch der Grund, warum ich sie bisher nicht gepflanzt habe, aber wie gesagt, mein Denken verändert sich in letzter Zeit.) Stelle mir die Frage, ob ich in das ökologische Gleichgewicht der Erde eingreife, wenn ich die Schnecken in meinem Garten absammle. Vertraue darauf, dass ich die Moore retten kann, wenn ich meine paar Blumentöpfe mit torffreier Erde befülle. Binde meine Pflanzen mit Schnüren auf, die noch von meinen Eltern stammen, und wenn ich eine Viertelstunde lang damit beschäftigt bin, die alten Knoten aufzukriegen. Überlege mir krampfhaft, wo ich noch eine dritte Regentonne aufstellen könnte.

Der Klimawandel, die Erderwärmung, das Artensterben sind zweifellos große Krisen und Herausforderungen für die Menschheit und für jeden Einzelnen von uns und erfordern Veränderungen. Das ernst zu nehmen, ist gut und wichtig. Aber dieses schleichende, alles durchdringende Unrechtbewusstsein, das mittlerweile jede meiner Entscheidungen beeinflusst, das muss ich wieder loswerden. Es vermiest mir die Freude an meinem liebsten Hobby, an meiner großen Leidenschaft, am einzigen Ort, wo ich völlig frei bin oder es zumindest sein sollte.

Eure Flora

Schreibe einen Kommentar