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Das Schneeglöckchen

Vor vielen Jahren, ich glaube, es war sogar noch vor den Kindern, hatte ich den Traum von einer Wiese voller Schneeglöckchen im Frühjahr. Wahrscheinlich hatte ich wieder einmal gelesen, dass sich Schneeglöckchen herrlich zum Verwildern eignen. Außerdem mag ich Schneeglöckchen.

Ich erstand also eine Hunderterpackung mit Schneeglöckchenzwiebeln und legte los. Blumenzwiebeln soll man ja am besten in Gruppen locker auf den Boden werfen und dann so pflanzen, wie sie fallen, so sieht es am natürlichsten aus. Es war eine furchtbare Plackerei, in die seit Jahren festgetretene Wiese Löcher zu machen, teilweise eng nebeneinander, teilweise verstreut, und das Ganze auch noch bei feuchtkaltem Herbstwetter. Einen ganzen Tag lang war ich beschäftigt. Aber was tut man nicht alles, um eine traumhafte Frühlingswiese zu haben.

Damals gab es noch Schnee im Winter, ich erinnere mich ganz genau. Mein Kopf war voller Bilder, wie sich die reizenden Frühlingsboten durch den schmelzenden Schnee kämpfen und die letzten Schneeflecken umringt sind von üppig blühendem Grün-Weiß. Nun, es bohrte sich nichts durch die Schneedecke und als sie weggeschmolzen war, sah ich auch warum. Anstelle meiner hundert Schneeglöckchen hatte ich hundert – Löcher in der Wiese, hübsch natürlich verstreut angeordnet. Ich mag Krähen, wirklich. Jedes Jahr ist es für mich ein spektakuläres Ereignis, wenn sie in Scharen einfliegen (wobei mir vorkommt, dass es von Jahr zu Jahr weniger spektakulär ausfällt, weil viele einfach dableiben). Wenn sie frech auf ihren befiederten Beinen daherhopsen, den Kopf schief legen und mich anschauen, rede ich mit ihnen, nenne sie Jakob oder zärtlich „Schacki“ und verzeihe ihnen auch die kleinen Verwüstungen im Garten. Aber hundert Schneeglöckchenzwiebeln?!

Bald siegte mein Humor. Ich stellte mir kopfschüttelnde Krähen auf den Telefonleitungen vor, wie sie mich dabei beobachteten, wie ich das leckere Futter unnötig im Boden versteckte. Dann füllte ich die Löcher mit Erde auf und säte an den größten kahlen Stellen Gras nach. Nie wieder Schneeglöckchen, schwor ich mir (ein paar Jahre später startete ich dieselbe Aktion mit Krokussen, nachdem ich irgendwo gehört hatte, dass Krokuszwiebeln den Krähen nicht schmecken – mit demselben Ergebnis).

Im Jahr darauf sah ich doch noch ein Schneeglöckchen in meinem Garten. Aus der Fuge zwischen Terrasse und Gehweg quetschte sich ein Schneeglöckchen hervor, kein Kümmerling, sondern richtig prächtig mit Blättern und Blüten. Ich habe keine Ahnung wie es dorthin kam, wahrscheinlich haben die Ameisen einen Samen dorthin getragen. Denn mehr als eine Ameise kommt in den Spalt nicht hinein. Und so blüht es da, Jahr für Jahr, und die Wiese denke ich mir dazu.

Eure Flora

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