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Das wilde Eck

Wer naturgärtnern will, braucht ein wildes Eck im Garten, am besten voller Brennesseln, um zig Schmetterlingsraupen durchzufüttern und gleich die Zutaten für eine wundertätige Jauche zur Hand zu haben. So steht es gebetsmühlenartig in jedem einschlägigen Ratgeber und in jeder Gartenzeitschrift. Hätte ich ein entsprechend großes Grundstück an einem Waldrand, würde ich das auch sofort anlegen. Inmitten einer Wiener Kleingartenanlage, wo mir schon die Gänseblümchen in der Wiese böse Blicke von den englischenrasenliebenden Nachbarn einbringen, grenzt der Gedanke an Brennesseln im Garten an gesellschaftlichen Selbstmord.

Trotzdem hatte ich bis vor wenigen Tagen ein „wildes Eck“ im Garten, ein paar naturbelassene Quadratmeter hinter dem Haus. Um der Wahrheit die Ehre zu geben – der Grund dafür war nicht biologisch. Ich komme nur mit der Gartenarbeit nicht nach und bin ständig damit beschäftigt, VOR dem Haus Ordnung zu schaffen, sodass mir für den Flecken hinter dem Haus nie Zeit blieb. Wolfsmilch, Akeleien, Himbeeren, Brombeeren und Scheinerdbeeren umwucherten einen wuchtigen Cotoneaster, den ich einmal in einem Anfall von Gestaltungswahn zusammen mit Frauenmantel und ein paar kümmerlichen Bergenien gesetzt hatte. Übrige Bretter und Stöcke landeten auch dort. Jedes Frühjahr überschwemmt das Scharbockskraut den Platz (eigentlich das angenehmste Unkraut in meinem Garten: Es zieht sich nach seinem Auftritt von selber wieder zurück und verschwindet für den Rest des Jahres von der Bildfläche, ohne dass ich etwas tun muss.)

Aber heuer wurde sogar mir die Wildnis zu viel. Ich begann mit dem Cotoneaster, der schon stattliche zwei Meter Höhe erreicht hatte, nicht schlecht für einen Bodendecker. Nach einem vorsichtigen Rückschnitt entdeckte ich, dass es sich mittlerweile um zahllose Ableger handelte, die alle zu dicken Stämmen heranwachsen wollten. Dazwischen versuchten Rudbeckien, Lichtnelken und Sonnenhut durchzukommen, scheiterten jedoch im tiefen Schatten als fadendünne Krüppeln. Weg damit! Den Cotoneaster habe ich auf handliche 1,20 Meter zurechtgestutzt und alle Triebe rundherum ausgegraben. Übrig geblieben sind zwei ineinander verwachsene Sträucher, die wohl nur ein Bagger noch trennen könnte.

Das "Kräuterbeetalpinum"

Als ich den Boden endlich sehen konnte, fand ich auch alle „Felsen“ wieder, die in meiner Kindheit das „Alpinum“ bildeten. Dieses Alpinum bestand lediglich aus einem Fleckchen Enzian, einem Edelweiß und einer Kuhschelle und war der ganze Stolz meiner Mutter. Und eben einem Haufen Steine, die sie aus den Alpen herbeischleppte. Also schleppen musste sie mein Vater. Kaum zu glauben, was er in seiner Gutmütigkeit im Rucksack transportierte, manche dieser Ungetüme schaffte ich nur mit letzter Kraft ins Kräuterbeet, wo sie nun Thymian, Rosmarin & Co die Füße wärmen können.

Aber damit war ich noch nicht fertig mit meinem Kahlschlag. Heute war die Wolfsmilch, die bei mir Unkrautcharakter hat, dran. Die Erde hinter dem Haus, ein hartnäckiges Überbleibsel von den Kanalbauarbeiten vor vierzig Jahren, macht mir zusätzlich das Leben schwer. Erde ist eigentlich zu hochtrabend für die steinharten, knochentrockenen Brocken, die ich Stück für Stück mit Spaten und Dreizack zerhacken muss. Erst dann kann ich die Wurzelstückchen und die Knöllchen des Scharbockskrautes ausklauben. Ich habe jetzt einmal spatentief umgegraben, mehr wollte ich meinem Rücken nicht zumuten. Bevor ich an eine neue Bepflanzung denken kann, werde ich die Erde mit Kompost und Gründüngung versuchen zu verbessern. Nächstes Jahr sollen dann die Beerensträucher auf die freie Fläche (zurück) übersiedeln. Aus unerfindlichen Gründen haben sich die Himbeeren und Ribisel früher dort im tiefen Hausschatten wohler gefühlt als jetzt in dem sonnigen, humosen Bauerngarten unter vermeintlich besten Bedingungen.

Ein schlechtes Gewissen habe ich schon. Als ich die morschen Bretter wegräumte, flüchteten Hunderte Asseln, Spinnen, Käfer, Tausendfüßler. Wieviel Lebensraum habe ich da zerstört, nur für ein bisschen Ordnung! Ich werde es wieder gut machen: Hinter dem Haus stapeln sich noch jede Menge Bretter und Pfosten, daraus werde ich so bald wie möglich einen Verschlag basteln und ihn mit Strauchschnitt und Laub füllen. Zwischen Cotoneaster und Zaun ist ja jetzt genug Platz dafür. Und den Viechern wird es hoffentlich egal sein, dass ihr neues Zuhause ordentlich ausschaut. Vielleicht zieht sogar ein Igel ein, eine Haustür lasse ich schon einmal offen.

Eure Flora

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