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Der Therapiegarten

„Im Garten bist du ein anderer Mensch“, stellt mein Mann in regelmäßigen Abständen fest. Das stimmt.

Ich bin von meinem Charakter her eine rastlose Perfektionistin, ständig um Verbesserungen bemüht und voller Befürchtungen, etwas nicht hinzukriegen. Mich zu entspannen liegt nicht in meiner Natur. Es ist kein Wunder, dass ich mit diesen Eigenschaften vor sieben Jahren in ein Burn-out geschlittert bin, das mich ein halbes Jahr lang außer Gefecht gesetzt hat. Ein Vollzeitjob, zwei pubertierende Kinder und eine immer pflegebedürftigere Mutter sind schon von Haus aus zuviel, erst recht, wenn man auch noch an sich selbst höchste Ansprüche stellt. In monatelanger Therapie habe ich mühsam erlernt, mich auf die Dinge zu besinnen, die mir Kraft geben. Und es hat sich bald herauskristallisiert, dass das in erster Linie mein Garten ist.

Zunächst einmal kann ich hier meiner Kreativität (und davon besitze ich eine ganze Menge) freien Lauf lassen. Da es meine Familie nicht interessiert und sie eh alles schön finden, was ich mache, redet mir keiner drein, solange ich von ihnen keine Hilfe einfordere. Dass ein Garten nie perfekt sein kann, bringt er einem ziemlich rasch bei. Man kann nur sein Bestes tun und dann abwarten. Mit fixen Bildern im Kopf oder Ungeduld bei deren Umsetzung erreicht man gar nichts. Manches wächst, so wie man es sich vorstellt, manches eben nicht. Und es dauert immer Monate, bis man das Ergebnis sieht. Ein bisschen ist es wie ein Kind zu erziehen, da braucht es auch eine Portion Gelassenheit.

Was andere Arbeit nennen, also Unkraut jäten, Verblühtes abschneiden oder Kompost sieben, ist für mich meditative Beschäftigung, bei der ich den Kopf frei kriege. Stundenlang kann ich vor mich hin zupfen oder schnippeln, ganz im Hier und Jetzt, denn anders geht es nicht. Wer beim Unkraut jäten nicht konzentriert bleibt, hat auf einmal eine eben erst gesetzte Pflanze in der Hand. Wer wild drauflos schneidet, erwischt unter Garantie einen schönen Blütentrieb (für solche Unfälle habe ich stets eine Gläser und Vasen im Badezimmerfenster stehen). Ich habe es mit „richtiger“ Meditation versucht. Keine Chance. Erstens mag ich es nicht, wenn mir jemand sagt, was ich denken soll, und zweitens schaffe ich es nicht, bei der Sache zu bleiben, und werde ganz zappelig. Also bleibe ich beim Unkraut jäten, das belohnt mich auch noch mit einem Erfolgserlebnis. Nichts auf der Welt ist für mich so befriedigend als am Abend ein „geschafftes“Beet anzuschauen.

Die "Unfallstelle"

Der Garten ist auch einer der wenigen Orte, wo ich nichts tun kann. Vor dem Brunnen zu sitzen und den Bienen und Libellen zuzuschauen lässt mich regelmäßig die Zeit vergessen. Oder auf meinem Liegeplatz dem Geschrei der Spatzenhorde zuzuhören. Abends vor einer Nachtkerze zu stehen und darauf zu warten, dass sich eine Blüte mit einem Ruck entfaltet. Arbeite ich ansonsten immer ein selbstgestecktes Programm ab, lasse ich mich im Garten einfach treiben. Langweilig wird mir nie, jeden Tag tut sich etwas Neues, Spannendes. Wann geht die Rosenknospe auf, färbt sich die erste Marille, ist der Kompost reif?

Sobald es die Frühlingstemperaturen einigermaßen zulassen, übersiedle ich in den Garten. Ohne meinen Mann, für den die Gartensaison erst beginnt, wenn er am Abend auf der Terrasse sitzen kann. Ein paar Wochen lang leben wir getrennt, bei Sonnenschein kommt er mich untertags besuchen, bei Regen oder einem Kälteeinbruch übernachte ich hin und wieder in der Wohnung. Besorgte Freunde haben schon gefragt, ob wir eine Krise haben. Nein, keineswegs. Es gibt nur keinen anderen Ort auf der Welt, wo ich so glücklich bin als in meinem Garten, und Christian weiß das als guter Ehemann. Im Garten bin ich ein anderer Mensch.

Eure Flora

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