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Die Blutpflaume

In meinem Garten standen schon immer zwei größere Bäume, Nr. 1 unbestritten der alte Herr, Nr. 2 war in meinen Kindheitstagen ein Zwetschkenbaum. Er hieß bei uns so, obwohl es eigentlich keine richtigen Zwetschken waren, sondern „Pfludern“, große, weiche, unendlich saftige Früchte, die ich genausowenig ausstehen konnte wie die Marillen (siehe Obst ist gesund). Christian mochte sie auch nicht und so waren wir gar nicht traurig, als der Baum nach ein paar Jahren das Zeitliche segnete. Ich hatte eine Zwetschke pflücken wollen und plötzlich den ganzen Hauptast in der Hand. Also ein Grund, die ungeliebte Altlast zu fällen, bevor noch Schlimmeres passiert.

Allerdings fehlte uns jetzt der Schatten in der Wiese. Wir hatten zwar noch den Marillenbaum, der beschattete aber damals nur die Terrasse, neben dem Haus waren Beete. Außerdem fürchtete ich, dass ihm dasselbe Schicksal bald bevorstehen könnte, schließlich war er ja noch älter als der Zwetschkenbaum (das war vor rund dreißig Jahren, der alte Herr strotzt noch immer vor Lebensfreude). So schnell wie möglich wollte ich daher einen neuen Baum pflanzen. Freunde vermittelten uns einen pensionierten Gärtner, der seine Restbestände günstig verkaufte. Er riet mir zu einer Rosenakazie, die mich sofort begeisterte: kleinbleibend, kugelig wachsend und das Wichtigste: kein Obst. Ich bestellte den Baum und war glücklich.

Dann machte ich einen entscheidenden Fehler. Ich erzählte dem Vereinsobmann strahlend von meinem neuen Baum. Der Obmann wachte mit strenger Miene über die Anlage (Christian sagte immer über ihn, wenn er mit seiner obligaten Aktentasche an unserem Zaun vorbeiging: „Der Breschnew kummt scho wieder, nur die Orden fehln eahm.“ – Jüngere Leser:innen mögen Leonid Breschnew, einen Vorgänger Putins, bitte googeln.) Also dieser Mann wiegte bedächtig sein Haupt und sagte: „Das geht nicht.“ „Warum?!“ „Weil es ein Obstbaum sein muss.“ „Aber ich will keinen Obstbaum, ich hab eh einen!“ Er blieb unerbittlich, berief sich auf die Gartenordnung, die Vereinsstatuten und vor allem auf seine Autorität und ich blieb wie ein Häuflein Elend zurück. Jung und unerfahren, wie ich war, traute ich mich nicht, mich auf die Füße zu stellen. Weder in der Gartenordnung noch in den Vereinsstatuten steht etwas von obligatorischen Obstbäumen und schon gar nichts davon, dass der Obmann eigene Vorschriften erlassen könne. Aber noch so ein Monstrum, das mich alljährlich zentnerweise mit Früchten überschüttet, wollte ich auch keinesfalls.

Der nette Gärtner in der Baumschule Christenson (ach, die vermisse ich bis heute!) staunte nicht schlecht, als ich ihn mit den Worten: „Ich will einen Obstbaum, der nichts trägt!“ überfiel. Ich erklärte ihm mein Dilemma und er dachte nach. Dann schlug er mir eine Blutpflaume vor, die sei zwar im Prinzip ein Zwetschkenbaum, brauche aber einen zweiten Befruchter und die Früchte seien in jedem Fall klein und spärlich. Perfekt! Ich suchte mir einen prächtig gewachsenen, etwa eineinhalb Meter hohen Baum aus und ließ ihn für eine Anzahlung reservieren. Zuerst musste ich noch ein paar Freunde finden, die den alten Baumstumpf ausgruben.

Zwei Wochen später fuhr ich mit meiner besten Freundin (dieselbe, die mit mir im Jänner Unkraut jätete) zu der Baumschule. In meinen Kleinwagen passte kein Baum, bestenfalls der Topf und während der Fahrt musste jemand die herausragende Krone halten. Der junge Gärtner erinnerte sich an mich und an den Zettel, den er an den Baum gebunden hatte, aber – der Baum war verkauft, zersägt, ausgesetzt – jedenfalls weg. Ich machte ein Riesentheater, ich wollte MEINEN Baum, alle anderen waren in meinen Augen nur Krispindeln (für Nichtwiener:innen: magere, schwächliche Gestalten), bis meine Freundin einschritt. Der Gärtner hatte mir schon einen älteren Baum mit dickerem Stamm zum selben Preis angeboten und sie drohte mir mit ihrem sofortigen Abmarsch, wenn ich mich jetzt nicht beruhigte und den Baum nähme. Ich kapitulierte.

Wie es halt so ist, wenn man sich etwas einbildet, der Baum blieb jahrelang ein Ärgernis. Jedes Mal, wenn ich ihn ansah, dachte ich an MEINEN Baum (auch wenn ich gar nicht mehr wusste, wie der eigentlich ausgesehen hatte, aber in meiner Erinnerung war er der perfekte Baum). Vielleicht kümmerte ich mich auch deshalb zu wenig um den Stützpfahl, als sich dieser mitsamt dem Baum in Windrichtung neigte. Als ich mich endlich aufraffte, um die beiden geradezubiegen, war es zu spät, der Stamm unwiderruflich schief gewachsen. Seltsamerweise versöhnte mich gerade dieses Missgeschick mit dem Baum, umso mehr als er alle anderen Erwartungen erfüllte. Seine dichte Krone gab schon nach ein paar Jahren angenehm kühlen Schatten, das dunkelrote Laub ergab einen interessanten Akzent im Garten, die Blüte im Frühling ist atemberaubend und die Früchte halten sich wie versprochen in Grenzen. Hin und wieder nasche ich von den kirschgroßen, erstaunlich aromatischen Zwetschken, aber die meisten putzen die Vögel weg.

So wurde es doch noch ein Happy-End. Um nichts auf der Welt würde ich meine schiefe Blutpflaume mehr eintauschen. Ich freue mich schon wieder auf die duftende rosa Wolke…

Eure Flora

 

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