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Die Bäuerin

Vor vielen Jahren kam mir die Idee, in meinem Garten Getreide anzubauen. Nicht um mir mein Müesli selbst zusammenzustellen, sondern weil ich als reines Stadtkind einmal sehen wollte, wie unsere wichtigsten Kulturpflanzen wachsen. Zwar gibt es im Umland genügend Felder, doch beim Vorbeifahren ist es doch immer nur eine Momentaufnahme: Jetzt wurde gepflügt, jetzt schauen Spitzen aus dem Boden, jetzt wogt der Weizen. Aber wann wird ausgesät, wann geschnitten und wie lange braucht Getreide überhaupt?

Mein Mann hat Verwandtschaft in Niederösterreich, die einen Bauernhof bewirtschaften. Von dort erbettelte ich mir ein wenig Saatgut, schließlich wollte ich für mein Experiment keine Zentnersäcke kaufen. Die junge Bäuerin war von meinem Wunsch begeistert und suchte alles zusammen, was der Hof hergab. Ich bekam fein säuberlich beschriftete Säckchen mit Winterweizen, Wintergerste, Winterroggen, Triticale, Hafer und Mais und dazu genaue Anleitungen. Sehr überrascht war ich, dass viele Getreidesorten schon im Herbst ausgesät werden, wo sie keimen, über den Winter dann innehalten und im Frühjahr weiterwachsen, bis sie im Sommer reif sind (Winterweizen, Wintergerste, Winterroggen und Triticale). Triticale kannte ich überhaupt nicht und lernte, dass es sich um eine Kreuzung aus Roggen und Weizen handelt, die überwiegend als Futtergetreide Verwendung findet.

Mit meinen paar Körnern trieb ich großen Aufwand. Erst richtete ich den Boden an verschiedenen Stellen im Garten perfekt her, grub um, hackte, siebte. Dann überlegte ich sorgfältig , wie hoch die einzelnen Sorten werden. Mit dem hohen Roggen bildete ich eine kleine Spirale, die ich weiter außen mit der kleineren Gerste fortführte. Weizen pflanzte ich in Reihen, den Hafer im Dreieck, wenn ich mich recht erinnere. Triticale bekam als Sonderling einen Extraplatz und der Mais den besten Sonnenplatz. Den wollten wir ja als einzigen essen.

War es das Saatgut, das auf Ertrag ausgerichtet war, war es die liebevolle Aussaat, das Getreide gedieh prächtig und sah umwerfend aus. Das allerdings rief die halbe Anlage auf den Plan, die meine Verrücktheiten stets ausgiebig beäugte. Der damalige Obmann, Gott hab ihn selig, stand verlegen da, wusste sichtlich nicht, ob Getreide in der Kleingartenordnung erlaubt war, und fragte nur, wofür ich das machte. Nur so zum Spaß, antwortete ich, und damit musste er zufrieden sein. Ob ich jetzt eine Bäuerin werden wollte, hörte ich öfters. Wahrscheinlich fürchteten sie, dass ich als nächsten Schritt eine Hühnerzucht anlegen würde (die sind in der Kleingartenordnung vorgesehen!). Ein alter Mann wurde fast aggressiv und knurrte mich an, dass wir doch keine Bauern wären. Ich habe lange darüber nachgedacht, warum er so erbost wegen der paar Getreidehalme war. Vielleicht war es ein Überbleibsel aus Kriegstagen, als die Menschen aus Not gezwungen waren, jedes Fleckchen Erde mit Essbarem zu nutzen, und meine „Felder“ erinnerten ihn daran.

Es blieb eine einmalige Aktion. Die Körner überließ ich gerne den Vögeln, nur die prächtigen Maiskolben futterten wir selber. Die schönsten Halme schnitt ich ab und schmückte einen uralten Sonnenhut meiner Großmutter (nicht die vom Garten, sondern die andere, die auch aus einer Bauernfamilie abstammte) damit. Und da stecken sie noch heute, bis auch das letzte Korn abgefallen ist.

Eure Flora

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