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Die Berge und ich

Die Begeisterung meiner Eltern für die Berge kannte keine Grenzen. Meine schon. Zu viele Hindernisse standen zwischen mir und der Schönheit der Landschaft: die miefige Kniebundhose, die kratzigen Stutzen, die klobigen Lederschuhe, der unförmige Walkjanker und der unbequeme Rucksack mit dem uralten schweren Regenschutz, der nach Autoreifen stank. Als hoffnungsloser Stubenhockerin, die sich am liebsten mit einem Buch in einer Ecke verkroch, war mir das endlose Bergaufgehen viel zu anstrengend. Dass beim Gipfelkreuz ein durchgeweichtes Butterbrot auf mich wartete oder, noch schlimmer, in einer Alpenvereinshütte die obligate „nahrhafte“ Würschtelsuppe (bis ich einmal auf ein besonders grausliches Exemplar stieß, das ich die folgenden drei Tage von mir gab, dann wurde das Hüttenmenü auf Nudelsuppe und Kaiserschmarrn geändert), machte die Sache keinesfalls besser. Die unheimlichen steinernen Kästen mit dem verrauchten 30er-Jahre-Charme meide ich bis heute.

Mein Mann schleppte ein ähnliches Kindheitstrauma mit sich herum und so machten wir jahrelang Sommerurlaub ausschließlich am Strand und einmal im flachen Holland. Im Winter brauchten wir die Berge zum Schi fahren, aber ohne Schnee machten wir einen großen Bogen um sie. Doch irgendwann verblasste der Graus und wir begannen, kurze Sommerurlaube mit moderaten Wanderungen einzuplanen. Moderat heißt, mit der Seilbahn rauf, oben ein bisschen spazierengehen, mit der Seilbahn wieder runter. So entdeckten wir doch die Erhabenheit der Berge für uns.

Als die Kinder kamen und ein Bauernhof in Donnersbachwald zum jährlichen Urlaubsfixpunkt wurde, wurden die Ausflüge immer mehr. Ich achtete sehr darauf, dass die Kinder ihren Spaß hatten. Zu essen gab es die verpönten Extrawurstsemmeln mit Cola und Gummibärchen oder sie durften sich im Bergrestaurant ein Schnitzel mit Pommes frites aussuchen. Das Ziel beinhaltete immer einen Spielplatz, Streichelzoo oder wenigstens einen kleinen Bergsee. Unterwegs durften sie jedem Grashüpfer nachspringen und auf jeden Felsen raufkraxeln, in jeden Bach hineinsteigen und über jeden Baumstamm balancieren, bis sogar mein ansonsten gehfauler Mann maulte: „Das ist ja kein Wandern mehr.“ Ich erzählte unentwegt Geschichten über Bergfeen, Zwerge und schlaue Murmeltiere und quasi als Notgroschen packte ich das Pflanzenbestimmungsbuch bei jeder Wanderung ein. Irgendwelche Blumen findet man schließlich immer und die Kinder fanden es spannend, die Seiten durchzublättern, bis endlich eine Blüte passte. So dauerte es zwar noch länger, bis wir das Ziel erreichten, aber meine Kinder haben angenehme Erinnerungen.

Wandern kann auch lustig sein!

Ich verbringe grad einen Wanderurlaub in Ramsau am Dachstein. Hin und wieder hab ich so einen Anfall. Heute fuhr ich mit der Seilbahn (im Nebel) auf die Reiteralm und keuchte (im Nebel) bergauf zum Spiegelsee. Dort spiegelte sich der Nebel im Wasser, beim Zurückgehen (im Nebel) meldeten sich im linken Bein beleidigte, überreizte Hüftadduktoren und mir fiel wieder ein, was die Physiotherapeutin gesagt hatte: keine extremen Bergtouren. Extrem, also bitte: 45 Minuten, 284 Höhenmeter, ich bin doch kein Krüppel! Anscheinend doch. Während ich meinen unerklärlichen Ehrgeiz verfluchte, sah ich eine frisch erblühte Erikastaude, wohl eine der ersten in diesem Jahr. Und mir fiel mein Vater ein. Im Garten konnte er kaum Tulpen von Rosen unterscheiden, aber die Alpenpflanzen, die hatten es ihm angetan. In seinem Taschenkalender, den er bis wenige Wochen vor seinem Tod führte, lag ein gepresstes Edelweiss, das er als junger Bursch am Großvenediger gepflückt hatte. Alle paar Jahre erneuerte er einen Enzian, der ebenfalls im Kalender steckte. Kohlröserl und Speik riss er nie ab („die sind zu selten“), zeigte sie mir aber immer mit leuchtenden Augen, ebenso Aurikel und Zyklamen. Vor einem Hang voller Almrausch konnte er minutenlang in schweigender Bewunderung stehen. Diese staunende Liebe beeindruckte und prägte mich mehr als der praktische Sinn meiner Mutter, die Blumen eher nach ihrer Tauglichkeit für Friedhofsträuße klassifizierte.

Es war wohl doch nicht alles schlecht an den Wanderungen meiner Kindheit…

Eure Flora

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