Was wirklich wichtig ist
Die Weihnachtsgeschenke sind besorgt, genug Punsch und Glühwein für dieses Jahr getrunken, den großen Weihnachtsputz gibt es bei uns schon lange nicht mehr, nur der Christbaum fehlt noch zum Fest. Im Radio klagt der Handel, dass die Leute heuer weniger kaufen und schenken (warum wohl?) und es werden die üblichen Interviews von der Straße im Fernsehen gezeigt („Haben Sie schon alle Geschenke? Geben Sie heuer mehr oder weniger für Geschenke aus?“). Und ebenso kommen diejenigen zu Wort, die Weihnachten als kollektiven Kaufrausch abtun, die von einem verklärt einfachen, besinnlichen Fest schwärmen und dass bei ihnen alles ganz anders ist. Die, die es schon immer als unnütz empfunden haben, einen Christbaum aufzustellen, haben nun noch eine umweltfreundliche Ausrede mehr („Wegen mir muss kein Baum sterben!“).
Ich hätte am liebsten in jedem Zimmer einen Christbaum stehen, bunt geschmückt mit allem, was sich seit meiner Kindheit in vier großen Schachteln angesammelt hat. Aus Platzgründen muss ich mich aber mit einem einzigen Baum begnügen, der uns wochenlang im Wohnzimmer im Weg steht und dann doch Jahr für Jahr eine schmerzliche Leere hinterlässt, wenn er wieder weg ist. Das Schmücken der zimmerhohen Tanne dauert stundenlang und ich genieße jeden Moment davon. Traditionell öffne ich eine Flasche Sekt dazu und auch wenn mein Mann mir bei der Auswahl und dem Aufhängen der Kugeln nicht hilft, beim Trinken macht er gerne mit (dafür steht er tagelang in der Küche). So viel Arbeit, höre ich immer wieder von Besuchern, für die paar Tage! (Übrigens eine Aussage, die ich in abgewandelter Form auch immer wieder im Garten höre: So viel Arbeit, für die paar Blumen!)
Ich weiß nicht, ob all die Besonderheiten, die Feste ausmachen, immer schon in Frage gestellt wurden oder ob es ein Merkmal unserer übersättigten Gesellschaft ist. Feste wie Ostern oder Weihnachten sind dazu da, um die Menschen aus dem Alltag zu reißen, etwas zu haben, worauf man sich freuen kann, ein Grund zusammenzukommen und miteinander ein paar nette Stunden zu verbringen. Mag sein, dass das in früheren Zeiten bedeutungsvoller gewesen ist als heute, wo ohnehin rund ums Jahr ein Event das andere jagt. Aber es liegt ausschließlich an uns zu entscheiden, ob es eine lästige Pflicht ist, Geschenke einzukaufen oder eine gute Gelegenheit, über seine Liebsten nachzudenken und ihnen eine Freude zu machen. Ob es nur ein Haufen Arbeit ist, den Baum zu dekorieren, oder eine schöne Tradition, die liebgewonnenen Stücke einmal im Jahr in die Hand zu nehmen und ins rechte Licht zu setzen.
Vor vielen Jahren habe ich mit meinem Sohn eine Ausstellung über die Hallstattkultur besucht. Neben einer Kindertunika waren die Stunden aufgelistet, die für deren Erzeugung nötig waren, vom Flachssammeln bis zur letzten Naht. Wir errechneten einen Zeitraum von etwa drei Monaten, wenn man bedenkt, dass die Arbeitsstunden auf das Tageslicht beschränkt waren und die Frauen ja auch noch andere Aufgaben hatten. In der Vitrine daneben hing ein unscheinbares Schmuckbändchen, eine Borte für den Ärmel eines Männerhemdes. Noch unter dem Eindruck der Stundenzahlen stehend durchzuckte mich plötzlich die Erkenntnis: Das macht uns Menschen aus! Obwohl es unendlich mühsam ist, etwas Lebensnotwendiges herzustellen, setzen wir uns noch hin und schaffen etwas völlig Unnützes, nur um der Schönheit willen. Keinem anderen Lebewesen auf dieser Erde würde so etwas einfallen.
Auf die Frage, warum er Gärten gestalte, antwortete André Heller in einem Interview, weil er damit die Welt ein kleines Stück schöner mache. Ein wundervoller Gedanke, den ich mir sofort angeeignet habe und der mich, zusammen mit dem Schmuckbändchen, seither begleitet. Egal ob ich in meinem Garten arbeite oder den Christbaum schmücke, die Stunden sind niemals verschwendet. Ich mache die Welt ein Stückchen schöner.
Eure Flora
P.S.: Ich wünsche allen meinen Lesern und Leserinnen viel Schönes in den kommenden Festtagen, von ganzem Herzen frohe Weihnachten! Auf Wiederlesen im Neuen Jahr!