Der Gnadenhof
Als Gärtnerin wäre ich eine Totalversagerin. Als professionelle Gärtnerin, meine ich. Ein Profi plant, gestaltet, bewertet. Gedeiht – kümmert – bleibt – muss weg. Mein oberster Grundsatz lautet: Pflanzen sind Freunde. Mit diesem Motto hat man nicht die Härte, alles, was nicht ins Konzept passt, zu entfernen. Wie bei meinen menschlichen Freunden akzeptiere ich geduldig Eigenheiten und Unzulänglichkeiten, toleriere Enttäuschungen und gebe ihnen noch eine Chance. Da muss mich jemand schon sehr ausgiebig ärgern, dass ich ihn aus meinem Umfeld verbanne.
Meine Pfingstrosen, zum Beispiel. Sie waren schon da, als ich den Garten übernahm, und ich mochte sie nicht. Meine Mutter hatte sie gerettet, als meine Großeltern väterlicherseits ihren Garten aufgeben mussten, und entlang des Weges aufgereiht. Dort boten sie weder einen Sichtschutz zu den Nachbarn noch einen tollen Anblick. Außer zur Blütezeit freilich, aber die ist bei Pfingstrosen recht kurz und dann stehen die Buschen langweilig da. Ich verbannte sie hinters Haus, wo ich sie nicht viel sah. Als ich dann den Garten umgestaltete (siehe „Es war einmal… Fortsetzung„), wanderten sie neben das Haus. Dort wuchsen sie zwar prächtig an, doch sie blühten nicht. Auch im zweiten Jahr zeigte sich keine Knospe. Von Jahr zu Jahr tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass sie sich erst eingewöhnen müssten, zweimal Umsetzen war ihnen halt zuviel, wird schon werden… Nach sieben (!) Jahren reichte es mir, ich pflanzte mich vor ihnen auf und schnauzte sie lautstark an: „Wenn ihr nächstes Jahr nicht blüht, fliegt ihr!“ Christian und der Nachbar machten sich über mich lustig, aber – die Pfingstrosen blühten ab dem folgenden Frühjahr. Letzten Herbst habe ich die Hälfte davon erneut umgesetzt, bin gespannt, wie lange sie mich jetzt wieder hinhalten.
Vor vielen Jahren half ich einem Freund, seinen Garten neu zu gestalten. Mit den Jahren hatte sich ein unübersichtliches Sammelsurium an Pflanzen angesammelt und wir setzten alles in attraktive Gruppen zusammen. Bei einem Strauch meinte er, den wolle er entsorgen, der blühe ja nur im Frühjahr und dann sei er unansehnlich. Nicht mit mir. So kam ich zu meiner Brautspiere vor dem Haus. Außerdem erbte ich bei dem Einsatz zwei Fetthennen und Hornkraut, Immergrün und Blaukissen.
Wo immer es etwas zu retten gibt, ist mein Garten zur Stelle. Voriges Jahr war es die Schneeforsythie. (Aufgrund meiner Schilderung beschloss eine liebe Gartenfreundin, sie müsse auch so einen Strauch in ihrem Garten haben – Flora mausert sich zur Influencerin!) Dann fand ich auf dem Friedhof eine weggeworfene Topfnelke, die im Staudenbeet ihr Ausgedinge gefunden hat und bereits kräftig durchtreibt. Auf dem Friedhof finde ich überhaupt viel, hübsche Gefäße und haufenweise Blumen, hin und wieder sogar Stauden. Da die Gärtner meist damit beauftragt sind, zwei- bis dreimal im Jahr die Grabbepflanzung zu ändern und das stur nach dem Kalenderdatum, landen unzählige blühende Einjährige auf den Biosammelplätzen. Wenn meine Kinder mit sind, darf ich nichts mitnehmen, das ist ihnen zu peinlich. Mein Mann verdreht zwar auch die Augen, ist es aber mittlerweile gewöhnt, dass ein „Einkauf“ zu einem Friedhofsbesuch für mich dazugehört. Vor etlichen Jahren kam ich genau zu der Zeit, als die Stiefmütterchen und Maßliebchen den sommerlichen Begonien weichen mussten. Beim Zurückgehen wollte ich ein paar Pflanzen aufklauben. Als wir zum Sammelplatz kamen, machten dort zwei ältere Gärtner grad Pause, dem Aussehen und der Sprache nach Türken. „Jetzt kannst aber nicht hingehen“, meinte Christian. Ich schluckte meinen Stolz hinunter und ging doch hin. Plötzlich sagte einer der zwei: „Du nehmen?“ „Ja“, nickte ich, „die sind noch so schön.“ „Du warten.“ Er ging zu seinem Lkw und holte eine Palette mit den schönsten Stiefmütterchen. „Schade, so schön“, sagte er und strahlte über das ganze Gesicht. „Na, dem hast aber jetzt auch eine Freude gemacht“, stellte Christian fest und half mir, die ganze Pracht zum Auto zu tragen. Ja, dem Gärtner tat es wohl auch weh, die blühenden Pflanzen auszureißen. Die Stiefmütterchen blühten noch wochenlang.
Also, wenn ihr etwas in eurem Garten nicht mehr haben wollt, nicht einfach wegwerfen, erst auf Gut Florabichl anfragen. Ich finde einen Platz, versprochen.
Eure Flora