Mein Garten ist mein Herz
„Wer mich ganz kennenlernen will, muss meinen Garten kennen, denn mein Garten ist mein Herz.“ Dieser Ausspruch stammt nicht von mir, sondern von Hermann Fürst von Pückler-Muskau. Diese schillernde Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts hat sich unter anderem als Gartenarchitekt mit mehreren Landschaftsparks in Deutschland verewigt und sich mit seinem eigenen „Garten“ so ruiniert, dass er seinen Stammsitz später verkaufen musste. Der Fürst-Pückler-Park im sächsischen Bad Muskau ist mit 830 Hektar der größte Landschaftspark Zentraleuropas im englischen Stil, liegt zu einem Drittel in Deutschland und zu zwei Drittel in Polen und zählt zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Mein Garten steht ganz sicher nicht zur Debatte, von der UNESCO beachtet zu werden, egal wieviel Liebe und Herzblut ich hineinstecke. Ich bin schon froh, wenn ich unseren Gästen die neuesten Errungenschaften in meinem Reich zeigen darf. Darf, denn ich frage stets vorher nach, ob Interesse besteht, und betone, dass man ruhig ablehnen kann, ohne mich zu beleidigen. Außer meine Familie, denn die hat sich gefälligst für mich zu interessieren! Bei ihr setze ich meine Person tatsächlich in direkte Verbindung mit meinem Garten und reagiere gekränkt, wenn man meinem Garten, also mir, keine Aufmerksamkeit schenkt.
Wieviel von mir, von meinem Charakter, von meiner Persönlichkeit steckt denn nun tatsächlich in meinem Garten? Seit einiger Zeit beschäftigt mich die Frage, ob der Garten mich widerspiegelt und abbildet (ja, in der Pension kommt man auf seltsame Gedanken!). Karl Foerster hat immerhin einmal gesagt: „Die meisten Gärten sind Dokumente der Andachtslosigkeit, mit denen das Leben gelebt wird.“ Na, das kann er von mir nicht sagen! Mein Garten ist eher ein Dokument für sorgfältige Hingabe und Leidenschaft, deswegen hat mich wohl die beiläufige Bemerkung einer Nachbarin so getroffen (siehe „Ansichtssache„). Also mich einer Aufgabe voll und ganz widmen, achtsam sein und nie zufrieden, stets nach möglichen Verbesserungen suchen, das entspricht voll und ganz meinem Wesen. Im Beruf, in der Kindererziehung, beim Einrichten der Wohnung, auf Reisen – es war für mich immer wichtig, das Beste daraus zu machen. Die Sorglosigkeit mancher Gartenbesitzer*innen zu ihren Pflanzen („wird’s halt kaputt“) kann ich nicht verstehen, wenn sie irgendwas irgendwohin stellen oder eingraben, ohne sich um dessen Ansprüche zu kümmern. Jeder Winzling wird von mir penibel geprüft, ob er wirklich als Unkraut weichen muss oder vielleicht doch an diesem oder einem anderen Platz im großen Reigen mittanzen darf.
Schließlich überlegte ich, ob einzelne Elemente des Gartens meine Person sichtbar machen. Warum habe ich mich in dem rechteckigen Garten meiner Mutter nie wirklich wohlgefühlt, warum habe ich einen Bauerngarten angelegt, warum schaffe ich in keinem Beet ein Farbkonzept, warum finde ich grüne Wände bedrohlich und deprimierend, warum ersetze ich nicht sinnvollerweise meinen alten Herrn durch einen vitalen Jüngling, warum turne ich den ganzen Sommer über Kübelpflanzen auf der Terrasse und schleppe mich mit Gießkannen krumm?
Dass ich die geometrischen Beete und die schnurgerade Wegführung durch weiche Linien ersetzt habe, freut mich nach zwanzig Jahren immer noch. Meine Entscheidung war nicht nur eine Geschmacksfrage, sondern auch eine bewusste Abkehr von meiner engen Kindheit, in der strenge Ordnung eine große Rolle gespielt hat. Nicht die Dinge meinem Weg zu unterwerfen, sondern meinen Weg nach den Gegebenheiten zu wählen, erstarrte Regeln zu durchbrechen und Charakter und Eigenart meiner Pflanzen (oder Mitmenschen) zu respektieren und zu akzeptieren, sind die Grundsätze, nach denen ich mein Leben ausgerichtet habe. Damit erübrigt sich auch die Frage nach Farbkonzepten. Die Welt ist bunt, also sollen es meine Beete auch sein. Freilich achte ich darauf, nicht unbedingt eine orange und eine rosa Blüte nebeneinanderzusetzen, da kommt eben eine weiße dazwischen. Sobald ich merke, dass eine Farbe zu sehr dominiert, zieht ein starker Kontrast ins Beet ein. Meine Pflanzenbilder sind wenig gewollt, sie ergeben sich einfach im Laufe der Zeit. Das Präriebeet ist das erste Beet, bei dem ich ein Konzept nachzupflanzen versuchte, und das habe ich mit je einer Rose links und rechts auch schon wieder verändert. Auf die „Chelsea Flower Show“ werde ich es so nicht schaffen, aber übertriebener Perfektionismus hat im Garten sowieso nichts verloren.
Andererseits bin ich eine große Nostalgikerin. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass jede Vergangenheit sich in irgendeiner Weise auf unsere Gegenwart auswirkt, sei es im Guten oder im Schlechten. Was meine Kinder als typische Vertreter ihrer Zeit als altmodisch, uninteressant, überholt abtun, erzählt für mich eine Geschichte. Je älter ich werde, desto wichtiger ist es für mich, mich mit Dingen zu umgeben, die eine Geschichte haben, als mit Dingen, die neu, schön oder stylisch sind. Von meinen Pflanzen weiß ich von jeder einzelnen, wer sie mir geschenkt hat oder wo ich sie gekauft habe, wie groß sie damals war, warum ich sie dorthin gesetzt habe, wieviel Mühe sie mir gemacht hat… Kein Wunder, dass ich bereit bin, weiterhin in die Baumpflege meines alten Herrn zu investieren und eine Neupflanzung noch solange wie möglich hinauszuzögern. Vernünftig wäre es jetzt schon, dann würde ich eine neue Schattenkrone noch erleben. Auch der Bauerngarten symbolisiert für mich „die gute alte Zeit“, werden solche Gärten doch nur mehr in historischen Anlagen gepflegt. Moderne Gemüsegärten strotzen vor Hochbeeten.
Kübelpflanzen sind für mich das Sinnbild für unsere vielen schönen Urlaube, die wir im Süden verbracht haben. Ich weiß nicht, wie die Griechen, Spanier oder Portugiesen das machen. Sie stopfen eine mickrige Pelargonie in eine verrostete Blechdose und es sieht malerisch aus. Plastikkübel und vergammelte Tontöpfe stören das Bild nicht, wenn ein Lorbeerstrauch drüberhängt, und ein Olivenbaum kann gar nicht schief und krumm genug gewachsen sein. An so viel Lässigkeit arbeite ich noch. Meine Agapanthe bedeutet mir viel mehr als sieben prächtige Blütenbälle. Wenn ich sie ansehe, ist unser Madeira-Urlaub mit all der grandiosen Landschaft und den beeindruckenden Gärten wieder präsent, die vielen Arten, wie man den schwarzen Degenfisch zubereiten kann, das Grab des letzten österreichischen Kaisers im neblig-feuchten Monte (kein Wunder, dass er sich dort den Tod geholt hat), meine verzweifelte Weigerung, in der Markthalle von Funchal die verlockenden Rhizome einzukaufen, meine Freundin, die Jahre später in den Bergen der Insel nichtsahnend und ungefragt einfach zwei Rhizome ausgegraben und mitgebracht hat (siehe „Mein größter Stolz„), die Freude, als sich die ersten Blätter zeigten, der Triumph der ersten Blüte im Jahr darauf – das alles bin ich, das ist mein Leben. Nicht mein ganzes, aber ein wichtiger Teil davon.
Eure Flora